2. Teil

 

 

Dies ist eine " Drama & Coming Out " Geschichte die ich geschrieben habe.
Nun möchte ich auch euch ein wenig Teilhaben lassen.
Das Buch ist Leider noch nicht im Buchhandel oder über Amazon.de & Buch.de erhältlich.


Nun aber zur Geschichte





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Dieser Teil hat lange auf sich warten lassen, tut mir leid, manche Dinge kann ich nicht ändern. Als kleine Erinnerungsstütze und um dir den Einstieg zu erleichtern, hier eine kurze Zusammenfassung des ersten Teils:

David, 15, wird von seinem Stiefvater regelmäßig mißhandelt. Als sein Bruder Benni stirbt, wehrt er sich und wird daraufhin von seinem Stiefvater zusammengeschlagen. Davids Lehrer, Schröder, findet ihn und sorgt für den Rettungswagen. Die Justiz verhaftet Davids Vater, der kommt aber wieder frei, weil sich Davids Mutter auf seine Seite stellt. David packt seinen Kram und haut ab. In Münster lernt er Julian kennen, einen schwulen Jungen und bleibt für ein paar Tage bei ihm und seiner Familie. Ein Internet-Freund, Simon, bietet ihm an, in die USA zu kommen und David stimmt zu. Er fährt nach Bremen und trifft dort Richard Jackson (Rick), den Vertreter einer Gruppe, die sich um Kids wie David kümmert. Nach einigen Tagen bringt Rick David nach Hamburg, damit sich ein Kieferorthopäde um Davids ausgeschlagene Zähne kümmert.

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Ende der Flucht

 
10. Kapitel

Hm ... ‚Jackson‘ hörte sich irgendwie amerikanisch an und da wollte ich ja auch hin.
Ich stand auf und schüttelte seine Hand.

»Okay, dann ... Hallo Rick! Und wie geht's jetzt weiter?«

Er lächelte.

»Hierbleiben wollte ich jedenfalls nicht. Fahren wir zu mir und dann sehen wir weiter, okay?«

Von mir aus. Ich wußt' zwar irgendwie nicht so genau, was ich von dem Typen halten sollte, aber er war genau da, wo Simon gesagt hatte. Trotzdem, so ganz sicher war ich nicht, ich mein, er war nett, aber ... ich weiß auch nicht. Jedenfalls nahm ich meinen Rucksack und ging hinter ihm her. Es war ziemlich was los und wir schoben uns so durch die Leute. Ach du Schande,
gab's hier auch irgendwo keine Baustelle? Sowas hatt' ich ja noch nie gesehen, im Bahnhof und draußen, überall Bagger und Kräne und sowas. Ich war jedenfalls froh, als wir endlich am Parkplatz waren, vor allem, weil dauernd irgendwer gegen meine Schulter lief.
Rick bezahlte und dann schluckte ich erstmal ... nett, ’n schwarzer Opel.

»Rick, was ist ’n das für einer?«

»Ein Calibra, wenn ich schon Auto fahre, dann richtig!«

Das konnt' ich mir vorstellen, die Karre sah aus, als wenn sie mit ’nem Ferrari mithalten
könnte, hm, konnte sie wahrscheinlich auch, jedenfalls so, wie Rick fuhr. Es war schon irre, irgendwie schafften wir es immer noch so gerade eben über die Ampeln und wenn irgendwo
ein Stau war, dann ging's plötzlich in irgendeiner Seitenstraße weiter ... nach zwei Minuten wußte ich nicht mal mehr, in welcher Richtung der Bahnhof war. Später waren die Straßen
dann breiter und ich ließ den Türgriff wieder los. Rick schaute kurz rüber und lächelte

»Keine Angst, ich kenn' die Stadt wie meine Zahnbürste, wir haben nur ein paar Abkürzungen genommen.«

Aha. Nur glaubte ich ihm nicht. Also, das mit den Abkürzungen glaubte ich ihm schon, aber nicht sein Lächeln. Als Rick das Auto parkte, überlegte ich kurz, ob ich nicht besser die Biege machen sollte, aber ... wenn ich nach Amerika wollte, dann brauchte ich den Typen. Also ging ich mit ihm in den dritten Stock hoch ... das Wohnzimmer sah ganz gemütlich aus, es gab ’nen Balkon und ... Moment mal, drei Computer? Und haufenweise CD's und ’ne Anlage, die für die ganze Straße gereicht hätte, der Typ war noch nicht alt, aber er mußte echt Kohle ohne Ende haben. Über dem Sofa hing ein riesiges Bild von zwei Männern, die sich küßten, naja, damit war das ja auch klar.

»Setz dich!«

Tat ich und er lächelte nicht mehr.

»Wer bist du?«

Oh, oh, was sollte das denn jetzt? War das etwa gar nicht der Typ, den Simon gemeint hatte?

»Ich bin David, ich dachte Simon hätte geschrieben und ...«

Er unterbrach mich, ziemlich laut.

»Simon hat gesagt, David hätte lange, blonde Haare und Simon hat gesagt, David käme aus einer armen Familie und Simon hat gesagt, David hätte kein Geld. Und du hast braune Haare und deine Kleidung ist neu und nicht billig und du läufst rum, als wär' dein Vater Bankdirektor. Entweder hast du Simon gelinkt oder du bist nicht David und beides macht mich gerade richtig sauer! Was soll der Scheiß?«

Irgendwie wußte ich verdammt genau, daß ich jetzt reden konnte, bis die Decke runterkam, es würd' nichts nützen. Und wenn er mir nicht glaubte, dann konnt' ich mir Amerika sonstwohin schieben. Ich hatte nur eine Idee, wie ich ihn davon überzeugen konnte, daß ich wirklich David war und das ich Simon nicht gelinkt hatte ... also, ehrlich, irgendwie hatt' ich mir das nu' wirklich anders vorgestellt.

»Hat Simon auch gesagt, was Bennis Vater mit David gemacht hat?«

Rick guckte immer noch ziemlich sauer, aber er nickte. Ich zog das Hemd kurz hoch, damit er die blauen Flecken sehen konnte, und schmiß ihm meinen Schülerausweis auf den Tisch.

»Meine Haare sind gefärbt und ich hab sie geschnitten .. naja, nicht selber. Zufrieden?«

Rick lächelte ... und diesmal war sein Lächeln echt.

»Tut mir leid, ich dachte, du wolltest mich reinlegen. Magst du was zu trinken?«

Ne, ne, erstmal wollt' ich wissen, wer er war.

»Ich werd sicher nichts trinken, bevor ich nicht weiß, wer du eigentlich bist und was hier abgeht!«

Rick seufzte.

»Ich mach dir ’n Vorschlag: Ich sag dir, wer ich bin und dann überlegen wir zusammen, was hier abgeht - aber ich hol erstmal was zu trinken.«

Es gab Cola und Rick erzählte, daß er was mit Computern zu tun hatte und so just for fun Geschichten fürs Internet schrieb.

»... und über meine Stories habe ich zu vielen Leuten Kontakt, eben auch zu Colin. Und er hat mich gefragt, ob ich dich nicht mal kennenlernen könnte.«

Also, jetzt war's aber gut. Er hatte von seinem Job erzählt und das er Musik macht und das er was von Computern versteht, aber das ging mir echt am Arsch vorbei.

»Ob du mich mal kennenlernen könntest? Was soll das hier sein? ’n scheiß Date oder was? Hast du ’n Arsch offen? Und für den Scheiß laß ich Julian sitzen? Ich hab dir bewiesen, daß ich David bin. Jetzt beweis du mir, daß du mir helfen kannst, sonst ist hier einfach Ende!«

Rick holte tief Luft.

»Nu' mach mal halblang! Ich versteh ja, daß du mißtrauisch bist, aber wenn du meinst ...«

So langsam wurde er lauter.

»... daß du mich in meiner eigenen Wohnung blöd anmachen kannst, dann hast du dich geschnitten! Ich riskier' hier meinen Hintern für dich und ich will wenigstens ein bißchen Höflichkeit!«

Laut werden konnte ich auch.

»Du riskierst deinen Arsch? Verdammt noch mal, ich sitz hier in ’ner fremden Stadt, in ’ner fremden Wohnung, vor ’nem fremden Typen und ich weiß nicht mal, ob du mir gleich was über den Schädel haust und meine Einzelteile verkaufst! Du hast gedacht, ich verarsch dich, ich hab dir gezeigt, daß ich wirklich David bin und du erzählst mir hier nur Müll, also schmier dir deine verdammte Höflichkeit in deine beschissene CD-Sammlung!«

Okay, das war's dann wohl mit Amerika. Ich griff mir meinen Kram.

»Warte.«

Kam nicht in Frage, ich ging zur Tür.

»David, bitte!«

Ich weiß nicht, warum, ich hatt' die Klinke schon in der Hand, aber da war irgendwas in seiner Stimme ... ich blieb stehen.

»David ... gib mir fünf Minuten, wenn du dann immer noch weg willst, dann fahr ich dich auch zum Bahnhof oder so - aber hör mir fünf Minuten zu, okay?«

Ich holte tief Luft ... und drehte mich um.

»Okay. Fünf Minuten.«

»Danke. Willst du dich nicht setzen?«

»Deine Zeit läuft.«

Er seufzte.

»Okay ... was ich jetzt sage, ist nur ein Gedankenspiel, also nur Phantasie. Stell dir mal vor, daß es irgendwo ein paar Leute gibt, denen es früher so ähnlich wie dir gegangen ist. Sie sind verprügelt worden, oder auch mißbraucht. Als sie erwachsen waren, haben sie gedacht: 'Okay, wir haben es überlebt, aber es gibt verdammt viele Kids, denen es so geht, wie uns damals. Können wir denen nicht helfen?' Nehmen wir an - nur so als Gedankenspiel - diese Leute hätten sowas wie einen Verein gegründet, natürlich nicht offiziell, und gesagt: ‚Wir helfen Kids, die sonst keine Hilfe kriegen und wir sind bereit, dafür auch mal Gesetze zu übertreten. Die Kids sind uns wichtiger, als die Gesetzbücher.‘«

Rick machte sich ’ne Kippe an ... also, so langsam schwante mir was.

»David, wenn es so eine Gruppe geben würde, dann müßte sie verdammt vorsichtig sein,
oder?«


»Ja, klar, sonst hätten die Leute die Bullen am Hals.«

»Genau. Aber du wärst bei so einer Gruppe ja wohl ziemlich richtig, denn du suchst Leute, die dir helfen, in die Staaten zu kommen und das geht sicher nicht auf dem offiziellen Weg.«

»Rick, der Weg ist mir scheißegal, nur, in Deutschland kann ich nicht bleiben und ... eigentlich will ich das auch gar nicht mehr. Weißt du, wenn's nach den Bullen gegangen wär', dann wär' ich jetzt im Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Was is'n das eigentlich für ’n Scheißland, wo man mich einfach so halbtot schlagen kann und ’n paar Tage später kommt Bennis Vater wieder, das gibt's doch gar nicht!«

Ich war schon wieder laut geworden, aber diesmal ging's nicht gegen Rick und das kriegte er auch mit.

»Ich versteh, was du meinst, aber das gibt's in anderen Ländern auch ... es gibt sogar in den USA Kids, die weg wollen, weil es denen da genauso beschissen geht, wie dir hier. So, aber jetzt mal kurz zurück zur Gruppe, also ... wenn es so eine Gruppe gäbe, dann würde sie dir nicht sofort auf die Nase binden, daß es sie gibt, klar?«

»Natürlich, die wären ja schön blöd, wenn ich zu den Bullen gehen würde, dann säßen die Leute mächtig in der Scheiße.«

Rick grinste.

»Naja, sagen wir, sie hätten Schwierigkeiten.«

Hm, so langsam kriegte ich mit, was er mir sagen wollte.

»Okay, Rick, du sagst, wenn du zu so einer Gruppe gehören würdest, dann könntest du mir das noch gar nicht sagen, weil du ja nicht weißt, ob ich dich nicht linke.«

»Jetzt hast du's.«

Puh ... da war was dran. Eigentlich war nur die Frage, ob ich ihm glaubte, oder nicht. Aber er hätte mir schon lange weh tun können, wenn er das gewollt hätte ...

»Kann ich noch ’ne Cola kriegen?«

Wow, Rick freute sich wirklich.

»Klar und ich glaub, heute abend gibt's sogar richtig was zu Essen!«

Gab's dann auch, Rick hatte sich in die Küche verkrümelt und etwas später saßen wir dann auf dem Balkon und ließen uns so ’n Nudelzeug mit Käse schmecken ... also, ich hätt' ja noch ’n bißchen Ketchup drübergetan, aber ich glaub, ich war Rick schon genug auf die Nerven gegangen. Hinterher gab's dann erstmal ’ne Kippe.

»Rick?«

»Ja?«

»Hast du auch ... bist du auch ... ich mein, du gehörst zu dieser Gruppe und ...«

Rick grinste.

»Das habe ich nicht gesagt!«

»Okay, also ... wenn du zu dieser Gruppe gehören würdest, wärst du dann auch von deinen Eltern, naja, du weißt schon ...«

»Ob ich auch abgehauen bin? David, ich hab dir schon gesagt, daß ich über meine Stories mit der Gruppe in Kontakt gekommen bin und das war nicht gelogen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, daß man eine ganze Menge Mails kriegt, wenn man etwas ins Netz stellt und ... naja, es war so: Ich kriegte eine Mail von einem Jungen, der auch ziemliche Schwierigkeiten hatte und ich war so richtig sauer, nur wußte ich nicht, wie ich ihm helfen sollte. Ich hab mich dann mal ein bißchen umgehört und dann hat sich wer gemeldet, der meinte, daß er vielleicht helfen könnte. Die ganze Kiste war ziemlich kompliziert, aber der Junge lebt jetzt in England und soweit ich weiß, fühlt er sich bei seiner neuen Familie sehr wohl. Ich wußte, daß der Junge ... nennen wir ihn mal Kevin, also, das Kevin echt Schwierigkeiten hatte, aber als er hier ankam, da hab ich geweint. Er war etwas jünger als du und sein Vater hatte ihn ziemlich regelmäßig mißbraucht und er schaute mich an, wie ein Hund, den man zu oft geschlagen hat. Damals hab ich mir geschworen, daß ich alles tun werde, um ihm zu helfen und so bin ich zur Gruppe gekommen.«

Ich holte tief Luft, das war jetzt echt wichtig.

»Rick ... hilfst du mir auch?«

»Ja, da kannst du dich drauf verlassen, aber was jetzt viel wichtiger ist: Du bist in Sicherheit! Kein Weglaufen mehr, keine Angst mehr, nach Hause zu kommen, keine Schläge mehr, nie wieder, das verspreche ich dir!«

Ich glaub', da kriegte ich erst so richtig mit, was Sache war. Ich mein, okay, ich saß da eigentlich nur auf ’nem Balkon, aber Rick hatte recht ... zum ersten Mal seit ... ach, ich weiß nicht, wie lange, brauchte ich keine Angst zu haben ... ich hätt' alles dafür gegeben, wenn Benni bei mir gewesen wäre, wenn er sich auch mal so gefühlt hätte, wie ich jetzt und wenn ... dann strich mir eine Hand über den Kopf

»David, alles klar?«

»Ja, ich ... ich freu' mich nur so! Danke!«

»Da nich für! Ich bin froh, daß du da bist!«

Wir saßen dann noch ein bißchen vorm Fernseher und dann wurd's auch schon Zeit, schlafen zu gehen, Rick mußte den nächsten Tag arbeiten, aber er hatte gemeint, er würde früher nach Hause kommen. Ich legte mich auf das Sofa unter das Bild von den Männern ... und da merkte ich erst, wie müde ich war. Nee, nicht weil ich früh aufgestanden wär' oder so, sondern so richtig müde, ich drehte mich auf die Seite und dann wurd's dunkel.

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11. Kapitel :

» ... ist David, sei leise, er schläft noch!«

»Ah, wieder einer von den Kids?«

»Ja. Ich glaub' nicht, daß er lange hierbleiben wird ...«

Oops, ich wollte eigentlich grade was sagen, damit die beiden mitkriegten, daß ich wach war, aber jetzt wollt' ich doch erstmal wissen, warum ich nicht lange bei Rick bleiben würde.

»... sein Vater hat ihm zwei Zähne ausgeschlagen und er lispelt ziemlich schlimm.«

Hm, eigentlich mein Stiefvater, aber das war jetzt egal.

»Du willst ihn nach Hamburg bringen?«

»Wahrscheinlich, aber ich hab noch nicht telefoniert.«

»Ist der Junge in Ordnung?«

»Ich denk schon. Er hat natürlich Angst, aber die hätte jeder in seiner Lage ...«

Ich hörte ein leises Lachen.

»... und er muß noch ein bißchen an seiner Sprache arbeiten, wenn er so etwas, wie gestern Abend in den Staaten bringt, dann fallen die Leute da tot um.«

»Was hat er denn gemacht?«

»Wir haben uns ein bißchen gezofft und soviel 'beschissen' und 'verdammt' hört eine amerikanische Familie in 20 Jahren nicht ... «

Rick lachte leise.

» ... aber wir sind wieder klar. Kommst du heute Abend vorbei?«

»Ist das gut? Ich mein, mit dem Kid hier?«

»Ingo, ich hab dir schon ’n paar Mal gesagt, daß das kein Problem ist. Komm doch zum Essen, dann kann er dich gleich kennenlernen und wenn du meinst, daß es nicht so schön ist, kannst du immer noch früher gehen.«

»Okay, ich komm dann ...«

Und dann ging die Wohnungstür zu. Hm, Rick hatte ja schon gesagt, daß ich nicht der Erste war, der zu ihm kam, aber so wie sich das anhörte, hatte er wohl öfter Besuch. Und es ging also nach Hamburg - schade eigentlich. Aber ich war trotzdem noch müde und drehte mich nochmal um.

Als ich die Augen wieder aufmachte, war's schon hell ... mal sehen, oops, zwanzig nach elf, also, jetzt aber! Ich machte mich schnell fertig und räumte das Bettzeug weg, in der Küche lag ein Zettel.

»Hallo David,

nimm Dir einfach, was Du brauchst, ich werd versuchen, so gegen drei wieder da zu sein. Der Wohnungsschlüssel und Geld liegen neben dem Telefon, falls Du Dir die Stadt ansehen willst - aber laß Dich nicht erwischen!

Rick»

Okay, also erstmal Frühstück, Kaffee war klar, mal sehen, was da sonst noch rumlag ... Toast! Echtes Toastbrot, weiß und viereckig! Ich glaub, ich schob mir acht Scheiben rein und von Ricks Käse war hinterher nicht mehr viel da, aber es war echt toll. Irgendwie hatte ich dann aber doch ein schlechtes Gewissen, weil ich mich quer durch Ricks Kühlschrank gegessen hatte ... hm, klar konnte ich einkaufen gehen, aber ich wollte nun wirklich nicht auch noch anfangen, Ricks Geld auszugeben und ich wollt' mich einfach revanchieren, also ging ich auf die Suche nach dem Staubsauger. Und wo ich schon mal dabei war, fing ich an, hier und da ein bißchen zu wischen und machte einen Hausputz draus ... okay, einen Wohnungsputz, nur sein Schlafzimmer ließ ich in Ruhe, da hatte ich nichts zu suchen. Hinterher nahm ich mir noch 'ne Cola und den Aschenbecher und setzte mich auf den Balkon ... mmm, das war wirklich was schönes, einfach ein bißchen in der Sonne sitzen und ich brauchte mir eigentlich um gar nichts Sorgen machen. Dann ging die Tür und Rick kam.

»Wow! Was hast du denn hier gemacht?«

»Nur ein bißchen gewischt.«

Er grinste.

»Das war viel mehr, als ein bißchen wischen, danke!«

»Naja, ich hab deine Vorräte auch ziemlich niedergemacht und da wollt' ich dir nicht nur auf der Tasche liegen und wo wir doch heute Abend Besuch kriegen ...«

Scheiße, verplappert. Ich fühlte, wie meine Ohren schlagartig heiß wurden. Rick schaute mich ziemlich durchdringend an.

»David, ich glaube, du möchtest mir etwas sagen!«

Das hörte sich gar nicht so nett an und zuerst war ich ein bißchen erschrocken, aber dann sah ich da so ein Funkeln in seinen Augen und da wußte ich, daß er nicht wirklich böse war.

»Ja ... schon ... ich wollt' ja sagen, daß ich wach war, aber dann hast du gesagt, daß ich nicht lange hierbleiben würde und dann wollte ich wissen, warum nicht und dann wart ihr ja schon weg.«

»Und du hast gedacht, ich würde dir nicht sagen, daß es nach Hamburg geht?«

»Ja ... nein ... ich weiß auch nicht, ich mein, wir kennen uns ja noch nicht so lange und... und...«

»Und da hast du gedacht, es ist besser, vorsichtig zu sein.«

»Ja, so ungefähr. Aber was ist denn nun mit Hamburg?«

Er grinste

»Erstmal gar nichts. Ich muß heute abend noch telefonieren und dann wird sich einiges klären und ...«

Er machte sich ’ne Kippe an ... obwohl man zu ‚John Player Special‘ wohl besser ‚Zigarette‘ sagt.

»... vielleicht bring ich dich dann die Tage nach Hamburg. Deine Zähne müssen gemacht werden, nicht nur, weil du lispelst wie Tier, sondern auch weil du damit sehr leicht zu erkennen bist.«

»In Hamburg ist also nur der Zahnarzt?«

Tja, und dann fing Rick an, zu lachen und er hörte nicht mehr auf, bis ihm die Tränen runterliefen.

»Ich ...«

Kicher.

»... erklär dir das ...«

Lach.

»... heute abend.«

Also, ich weiß wirklich nicht, was an Zahnärzten so lustig sein soll.

So gegen halb sieben schickte Rick mich dann zum Zwiebeln schneiden und fing an, in der Küche herumzuwuseln.

»Was gibt's denn eigentlich?«

»Chili con Carne, mein Spezialrezept!«

»Ach, das kenn' ich, das ist einfach!«

Ich war zwar kein großer Koch, aber sowas krieg' ich auch im Schlaf hin.

»Lieber David, Mein. Chili. Ist. Nicht. Einfach!«

Oops.

»Okay, okay, ich sag ja gar nichts!«

Rick grinste.

»Ist auch besser so.«

Er machte einen tierischen Aufstand um sein Spezialrezept und ich hab nur mitgekriegt, daß da ein bißchen Zitronensaft mit rein kam, egal, jedenfalls drückte er mir so kurz nach sieben den Kochlöffel in die Hand und ich durfte rühren und er ging telefonieren.

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12. Kapietel

Als er wiederkam, war ich den Kochlöffel wieder los, aber dafür hatte er Neuigkeiten.

»Am Samstag geht's nach Hamburg, da wirst du dann den Zahnarzt kennenlernen, aber nenn ihn bloß nicht so, der Mann ist Kieferorthopäde.«

»Wieso, mein Kiefer ist in Ord ... ach so! Das sind die Leute, die die Zahnspangen machen!«

Die Dinger hatten viele aus meiner alten Klasse.

»Ja, aber die machen noch viel mehr und er wird sich was wegen deiner Zähne einfallen lassen und er hat gesagt, daß er nur noch ein Sofa frei hat. Übrigens ist er ziemlich berühmt.«

»Du verarschst mich, oder? Seit wann sind Zahnärzte berühmt? Äh, Kieferorthopäden berühmt?«

Er fing schon wieder an zu lachen, aber diesmal hörte er auch wieder auf.

»Laß dich überraschen!«

Hm, Rick meinte das wohl ernst. Ich war noch nie bei berühmten Leuten gewesen.

»Rick?«

»Ja?«

»Wenn der berühmt ist ... muß ich dann da so im Anzug rumlaufen?«

Rick kriegte wohl mit, daß mich das ein bißchen nervös machte. Er ließ sein Chili in Ruhe und hockte sich vor mich hin.

»Hey, kein Problem, du kannst da rumlaufen, wie du willst. Er ist zwar berühmt, aber echt in Ordnung, und ...«

Er strich mir durchs Haar und grinste.

»... vielleicht kann ich dir eine Krawatte besorgen!«

Ich schmiß ihm gerade ein paar Zwiebelkrümel an den Kopf, als unser Gast in die Küche kam.

»Hi, David! Alles klar bei dir?«

Und dann schüttelten wir uns die Hände und dann hielt er auch Rick die Hand hin, aber der schüttelte nur den Kopf.

»Spinnst du?«

Und dann küßte er ihn, ich mein, so richtig auf die Lippen.

»David hat inzwischen mitgekriegt, daß ich schwul bin, spiel' hier also kein Theater; David, das ist Ingo, mein bester Freund.«

Tja, und dann wurd's gemütlich, Ricks Chili war wirklich klasse und wir saßen auf dem Balkon und Rick hatte seine Anlage angemacht, irgend so ein Zeug aus den 80'er aber nicht schlecht. Irgendwann konnt' ich einfach nicht mehr.

»Boah, das war super!«

Ingo brummte und Rick lächelte, ich glaub', wir waren viel zu satt und so richtig schön müde und dann hatte Rick noch eine Idee.

»Ich mag das Zeug ja eigentlich nicht, aber so ein Gläschen Tequila wär' jetzt was schönes!«

Ingo wollte nicht und Rick schaute mich fragend an, hm, warum eigentlich nicht.

»Okay, ich probier mal ein Glas.«

Rick grinste.

»Mehr kriegst du auch nicht!«

Er holte zwei Gläser und die Flasche ... ich schaute genau hin, Rick kippte das Zeug runter, schüttelten sich kurz und das war's, na, das konnt' ich auch, also ansetzen und schlucken ...

Dauerte was, bis ich aufgehört hatte, zu husten und wieder reden konnte.

Es war ein richtig toller Abend und ich war so richtig glücklich und es war schon ziemlich spät, als Ingo wieder ging.

Am Freitag kam Rick schon ziemlich früh wieder und nach dem Essen guckte er nochmal kritisch auf meine Klamotten.

»Sag mal, hast du auch Sachen mit, die auch mal dreckig werden dürfen?«

»Klar, warum?«

Rick seufzte ein bißchen wie ein Schauspieler und mußte dann selber lachen.

»Frag nicht so viel, zieh dich einfach um.«

Tat ich und dann fuhr Rick uns durch Bremen ... und wie er fuhr.

»Jetzt versteh ich, warum ich mich umziehen sollte!«

»Warum denn?«

»Na, so wie du fährst, muß ich gleich 'ne andere Unterhose anziehen.«

Er lachte.

»Hey, ich bin oft unterwegs und da kann ich nicht über die Straßen kriechen. Aber okay, ich mach langsam.«

Hm, als, falls er wirklich langsamer fuhr, dann kriegte ich da jedenfalls nichts von mit. Aber so langsam wurde Bremen auch weniger und nach 'ner halben Stunde waren wir dann im Grünen, noch ein paar Feldwege ... und noch ein paar Feldwege, also, so langsam fragte ich mich ja, ob er mich auf so 'n Überlebenswochenende mitschleppen wollte, hier war ja gar nichts mehr. Irgendwann kamen wir zu einem Bauernhof.

»Ah, schon klar, ich soll den Schweinestall saubermachen!«

»Könnte schwierig werden, hier gibt es keine Schweine. Aber es hat was mit Tieren zu tun.«

»Hm, Kühe melken, Schafe rasieren, Ziegen kitzeln, Hühner füttern?«

Rick lachte.

»Klar, sag Bescheid, wenn du anfängst, ich ruf dann schon mal den Rettungshubschrauber.«

Wir gingen auch wirklich in den Stall, aber da waren ... Pferde? Ja, ganz eindeutig Pferde und was für welche, Himmel, waren die groß! Rick blieb vor 'nem großen, hellbraunen Pferd stehen.

»Das ist Lissy, sie gehört für ein paar Stunden dir. Ich hab mir gedacht, wir könnten ein bißchen reiten gehen.«

»Äh ... ja, aber ich hab noch nie ... ich mein ...«

»Deshalb sind wir ja hier. Keine Panik, Lissy ist wirklich lieb und wir üben natürlich erst ein bißchen.«

Weil ich ja nicht vorhatte, so richtig reiten zu lernen, kümmerte Rick sich darum, das Pferd anzuziehen, ich hielt sie nur fest und streichelte sie ein bißchen. Lissy hatte unheimlich kluge Augen und egal, was Rick machte, sie guckte nur mich an. Als Rick den Sattel holte, machte ich dann mit Lissy ein Geschäft.

»Hör zu, ich wird' gleich auf dich drauf klettern und ich weiß nicht, ob dir das gefällt. Ich mach dir 'n Vorschlag: Du tust mir nichts und ich tu dir nichts, okay?«

Lissy schnaubte und sabberte mir den Arm voll, war bestimmt ihre Art, 'Einverstanden' zu sagen. Tja, und dann war's soweit, ich setzte mich auf Lissy und Rick führte uns so ein bißchen 'rum ... war gar nicht so schlecht.

»Gut, jetzt nimm mal selbst die Zügel ... nicht so fest ... ja, so ist gut ....setz dich mal gerade hin und die Ellenbogen zum Körper ... ja, okay, ich sattle eben mein Pferd, dann können wir los.«

»Äh, Moment, wie … los?«

Rick lachte.

»Hast du gedacht, du sitzt nur ein bißchen auf dem Pferd? Lissy kann ein bißchen Bewegung brauchen.«

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13. Kapitel


Aha. Na gut, so schwierig war das ja wohl nicht. Ich lenkte Lissy so versuchsweise ein paar Meter durch die Gegend und sie machte ungefähr das, was ich wollte ... naja, vielleicht wollte ich auch eher das, was sie machte und dann kam Rick schon mit einem großen schwarzen Pferd.

»Das ist Hank, er ist ein Wallach, also auch ganz lieb. Wir fangen ganz langsam an, reite einfach hinter mir her, das macht Lissy sowieso von alleine.«

Ich wußt' zwar nicht, was ein Wallach ist, aber das war jetzt auch egal, weil Lissy nicht losging. Ich versuchte es ja, aber es tat sich nichts, ich sagte ihr sogar, daß sie nun endlich losgehen sollte, aber dann kam Rick und erklärte mir den Trick - hm, ich mußte also das Pferd treten, na, wenn das mal gut ging. Es ging gut und es dauerte nicht lange und wir waren ein Stück vom Stall weg. Also irgendwie hatte ich mir reiten anders vorgestellt, ich mein, im Fernsehen sieht es immer so aus, als wenn Pferde so ähnlich wie Autos funktionieren, sie tun immer genau das, was der Reiter will. Vielleicht gibt's ja Leute, bei denen das so ist, aber ich wußte ganz genau, daß Lissy machte, was sie wollte und das sie grade Spaß dran hatte, mich zu tragen und so zu tun, als ob ich dabei irgendwas zu sagen hätte. Aber ich glaub', sie wollte mir auch nichts tun und ich fing an, 'n bißchen lockerer zu werden. Das Schöne an der Sache war, daß wir wirklich ganz weit draußen waren, nur Wiesen und Felder und Bäume ... so ungefähr mußte das wohl auch in Amerika sein und ich fing an, mir vorzustellen, wie ich mit Rick über die Prärie ritt und ...

»David, warum hältst du eigentlich die Zügel in der Hand?«

»Na, du hast mir das doch gesagt!«

Er lachte.

»Nicht ganz, ich habe gesagt, du sollst mit den Zügeln lenken, im Moment läßt du Lissy nur laufen!«

Jetzt war ich aber dran mit Lachen.

»Hey, wenn Lissy will, dann schmiert sie mich an den nächsten Baum! Nee, nee, ich fang lieber keinen Ärger mit ihr an. Sag mal, gehst du eigentlich mit jedem Jungen reiten?«

»Ja, das gehört sozusagen zum Programm.«

»Wie ... Programm?«

»Laß uns zu den Bäumen da reiten, da machen wir eine Pause und da können wir
besser reden.«

Dauerte nur 'ne Minute oder so, dann stiegen wir ab und Rick band die Pferde an die Bäume und wir setzen uns hin.

»Okay, also, was ist das für 'n Programm?«

»David, ich mache häufiger mal die Kontaktaufnahme für die Gruppe, das heißt, die Jungs kommen erstmal zu mir. Meine Aufgabe besteht nicht nur darin, ein Bett und etwas zu Essen zur Verfügung zu stellen, ich versuche auch, so eine Art ersten Eindruck zu bekommen.«

»Und? Wie hab' ich abgeschnitten?«

Rick lächelte.

»Da geht es nicht darum, wie du abschneidest. Es geht darum, dich kennenzulernen. Ich hab dir doch gestern einen Zettel geschrieben, auf dem stand, wo der Wohnungsschlüssel und das Geld ist. Es hätte sein können, das du die Chance nutzt und verschwindest, dann hättest du wenigstens ein bißchen Geld gehabt.«

»Und du hättest mich dann abgeschrieben?«

»Nein, aber dann hätte ich mir etwas einfallen lassen müssen.«

»Und warum reiten?«

Er dachte lange nach, bis er was sagte.

»David, ich bin kein Psychologe, ich kann nicht mit dir reden und hinterher sagen:
David ist so und so. Ich weiß aber, daß Tiere meistens ziemlich gut einschätzen können, ob jemand in Ordnung ist und Lissy mag dich.«

»Also ist Lissy der Psychologe?«

»Wenn überhaupt, dann die Psychologin, aber da ist schon was dran, ja. Es geht aber um mehr ... du hast gerade gesagt, daß Lissy dich auseinandernehmen könnte, wenn sie wollte und das du deshalb die Zügel nicht benutzt. David, wenn sich Kinder oder Jugendliche aus gesunden Familien zum ersten Mal auf ein Pferd setzen, dann ist gerade das Gefühl, das so ein großes Tier genau das macht, was sie wollen, der große Kick.«

Dauerte einen Moment, bis ich geschnallt hatte, was er meinte ... und es stank mir ziemlich.

»Also bin ich wieder mal anders als die Anderen?«

»Ja und nein. Das, was du in deiner Familie erlebt hast, hat natürlich Folgen, du bist ja keine Maschine, die solche Dinge einfach so wegsteckt ... und in dieser Beziehung bist du anders, das stimmt. Aber du bist nicht anders, als die anderen Jungs, die zu mir kommen, die meisten verhalten sich so ähnlich wie du. Wenn ich da an Phil ... an den ersten Jungen denke, der wäre am liebsten vor Lissy weggelaufen und ...«

»Das ist doch scheißegal! Ist das den nie zu Ende? Erst war ich anders, weil ich meinen Vater nicht kenne, dann war ich anders, weil wir keine Kohle hatten, dann weil Bennis Vater uns verprügelte und jetzt, wo das alles vorbei ist, bin ich immer noch anders. Das gibt's doch gar nicht! Wo muß ich denn hinlaufen, damit es zu Ende ist? Ich will doch nur ...«

Ich holte tief Luft, aber ich konnt's trotzdem nur ganz leise sagen.

»... ich will doch nur so sein, wie die anderen auch.«

Rick guckte mir in die Augen.

»Das wirst du auch, glaub mir. Andere haben das geschafft und das kannst du auch. Hey, das ist wie ein Weg, du bist losgegangen, aber noch nicht angekommen. Es braucht seine Zeit, aber jetzt können deine Wunden heilen ... und Lissy kann dir auch dabei helfen! Los, steig auf, nimm die Zügel in die Hand und zeig ihr, wo es langgeht!«

»Meinst du wirk ...«

»Los, wer als letzter auf dem Pferd ist, hat verloren!«

Na gut, er ließ mich gewinnen, aber es fühlte sich jetzt ganz anders an, die Zügel in der Hand zu haben. Rick lächelte.

»Das sieht doch schon ganz anders aus. Reite du vor!«

Und es war wirklich anders, Lissy fühlte sich irgendwie lebendiger an und so langsam verstand ich, was das mit dem Reiten eigentlich hieß. Es war schon 'n irres feeling, wenn Lissy nach links ging, nur weil ich an dem Zügel zog ... hey, das machte richtig Spaß! So langsam ging's echt besser und wir ritten auch mal schneller und ich fand's eigentlich schade, als wir wieder beim Stall waren. Dafür kriegte ich dann auch mit, daß man ein Pferd nicht einfach wie ein Auto hinterher in die Garage stellen kann, es dauerte ganz schön lange, bis wir fertig waren.

»So, reiten kannst du ja jetzt, bist du schon mal gefahren?«

Ich lachte.

»Nee, warum hätt' ich denn Autos klauen sollen?«

»Freut mich zu hören! Dann hast du jetzt Premiere. Fang!«

Rick schmiß mir doch wirklich den Autoschlüssel rüber ... wow, das gab's doch gar nicht! Ich guckte ihn ziemlich nervös an.

»Echt? Ich soll fahren?«

»Nur bis wir wieder auf richtigen Straßen sind. Setz dich rein, ich erklär dir, worauf du achten mußt.«

Rick erklärte mir alles, langsam und zweimal und hinterher wußte ich auch, was eine Kupplung denn eigentlich macht und wozu es eine Gangschaltung gibt ... aber zu wissen, wie's geht und es auch machen, sind zwei verschiedene Sachen. Naja, sagen wir's mal so, als wir erstmal rollten, war's gar nicht so schwer und weil wir noch ein gutes Stück Feldweg vor uns hatten, konnt' ich auch mal ein bißchen Schalten und so und ich war richtig enttäuscht, als wir zu 'ner richtigen Straße kamen und Rick wieder fuhr.

Wir kamen ziemlich spät nach Hause und nach dem Abendessen setzten wir uns noch für 'ne Kippe auf den Balkon. Morgen würd's nach Hamburg gehen und ich glaub, wir waren beide 'n bißchen traurig.

»Rick ... warum machst du das eigentlich?«

»Du meinst, warum ich in der Gruppe arbeite?«

»Ja ... das auch, aber, ich mein, du warst mit mir reiten und du hast mich fahren lassen und morgen bin ich schon wieder weg und wenn alles glatt geht, dann bin ich bald in Amerika und wir werden uns vielleicht nie wieder treffen. Also ... warum?«

Rick schaute lange in die Nacht.

»David, ich weiß nicht, ob ich das erklären kann. Weißt du ... wenn irgendwo auf diesem Planeten ein Kind geschlagen oder mißbraucht wird, wenn ein Kind verhungert oder sein Lächeln verliert, wenn ein Kind weint und nicht mehr damit aufhören kann, dann hat die ganze Welt versagt, jeder einzelne Mensch. Diese Welt schuldet dir etwas, David, und ich habe nur versucht, ein kleines bißchen dieser Schuld zurückzuzahlen. Ich kann nicht ändern, was gewesen ist und vielleicht kann ich die Welt nicht verändern, aber manchmal kann ich wenigstens ein bißchen was tun.«

Rick hatte recht, so ganz verstand ich nicht, was er meinte, aber ich hatte genug verstanden, damit ich die Klappe hielt. Ich stand auf, küßte ihn auf die Stirn und ging schlafen ... ich glaub, Rick saß noch lange auf dem Balkon und guckte in die Dunkelheit.

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14. Kapitel


Am Samstag wurd's dann ernst. Nach dem Mittagessen packte ich meinen Kram zusammen und dann waren wir auch schon auf der Autobahn in Richtung Hamburg. Ich war zwar neugierig auf diesen berühmten Kieferorthopäden, aber auch ziemlich traurig, weil ich von Rick weg mußte und weil wir uns wahrscheinlich nicht wiedersehen würden.

Und dann sah ich, warum Rick so gelacht hatte, als ich ‚Zahnarzt‘ gesagt hatte, das Haus war ja riesig und mit einem riesigen Garten und einem riesigen BMW und noch ein paar Autos, scheiße, wo war ich hier? Ich hatte zwar meine guten Sachen angezogen, aber hier wär' ich, glaub ich, doch lieber im Anzug rumgelaufen, verdammt, ich kam mir reichlich klein vor. Rick kriegte natürlich mit, daß ich plötzlich gar nicht mehr so neugierig war und griff lächelnd auf den Rücksitz.

»Hier, ich hab dir doch gesagt, daß ich dir eine Krawatte besorge!«

Ich freute mich wirklich, nicht so sehr über die Krawatte, sondern weil er dran gedacht hatte, aber jetzt saß ich da auch ziemlich ratlos mit dem Ding in der Hand neben Rick.

»Äh, wie bindet man sich sowas eigentlich um?«

Am Ende band Rick die Krawatte, nahm sie ab und legte sie mir um den Hals, also, das wollte ich auch irgendwann mal lernen, egal, jedenfalls gingen wir dann in den Vorgarten, wo ein Schäferhund über mich herfiel, naja, nicht ganz, aber er stand vor mir und bellte und ich stand stocksteif, ich mag zwar Hunde, aber woher soll ich wissen, ob dieser Hund mich mochte ... oder zu sehr mochte und mich mal probieren wollte.

»Keine Panik, bleibt einfach ganz ruhig stehen, morgen früh um sieben bekommt er sein Frühstück, dann ist er abgelenkt und ihr könnte ins Haus kommen!«

Ich sortierte noch den Satz, als Rick sich lachend umdrehte.

»Rip! Du hättest mich auch vorwarnen können!«

»Klar, aber dann wäre mir dieser Spaß entgangen! Rinty, platz!«

Tat er auch. Also, er platze nicht, sondern setzte sich hin.

»So, und du bist demzufolge David?«

Äh, ‚demzufolge‘?? Hat mal wer ’n Wörterbuch? Der Typ guckte aber sonst ganz freundlich.

»Ja, genau.«

Er streckte mir die Hand entgegen.

»Ich bin Dr. Masters, aber du bist ein Freund von Rick und kannst mich ruhig Rip nennen, komm, gehen wir ins Haus, ich bin sicher, die anderen werden sich freuen, euch zu sehen!«

Irgendwie hatt' ich ja gedacht, drinnen wär' alles voll mit alten Bildern und Statuen oder so, aber wir gingen in die Küche und da lief die Kaffeemaschine und das Radio lief und es sah alles richtig normal aus.

»Setz euch, die anderen werden auch gleich da sein, ich glaube, Richie hat den Kaffee gekocht, also seid vorsichtig, er neigt dazu ...«

»Wozu neige ich? Hi Rick, schön dich zu sehen! Und du bist bestimmt David?«

Da war so 'n Typ in die Küche gekommen und der sah so aus, als ob er sich freute, daß Rick da war ... und ich.

»Ja, bin ich und du bist Richie und du hast irgendwas mit dem Kaffee zu tun?«

Er lachte.

»Es gibt Leute, die meinen, ich würde den Kaffee zu stark machen, aber ...«

Und dann tauchte da noch wer auf.

»... das ist jetzt auch egal, darf ich vorstellen, Jason, mein Freund.«

»Hi, nice to meet you.«

»Hallo, sag mal, ich kenn' ...«

Richie unterbrach mich.

»Moment, Jason ist Amerikaner, er spricht nicht viel Deutsch und du kennst ihn wahrscheinlich aus dem Kino.«

Also, jetzt wurd's mir doch ziemlich mulmig, das war _der_ Jason, ’n waschechter Star aus Hollywood und er war der Freund von diesem Richie und ich war hier in ’ner Hütte, die mehr gekostet hatte, als das ganze Mietshaus, in dem ich gewesen war und jetzt sollt' ich auch noch Englisch reden ... also, ich sagte erstmal gar nichts, zum Glück war Rick noch da.

»Hey, mach den Mund wieder zu, sind alles gute Freunde. Rip, hattest du was von Kaffee gesagt?«

»Ja, den brauche ich jetzt auch. Ich schlage vor, daß wir englisch sprechen, wenn Jason dabei ist, dann hast du gleich ein bißchen Übung und sonst können wir bei deutsch bleiben, einverstanden?«

Er guckte mich fragend an ... äh, ich glaub' er wollte wirklich wissen, ob ich einverstanden war.

»Ja ... klar.«

Richie übersetzte das ganze kurz für Jason und dann gab's Kaffee ... und was für einen, das war echt ’n Hammerzeug, nach dem ersten Schluck tat ich einen guten Schuß Milch in meine Tasse, das war hier auch so aufregend genug. Mal sehen, ob ich das auf die Reihe kriegte, Dr. Masters, also Rip, war dann wohl dieser berühmte Kieferorthopäde und Richie war bestimmt sein Sohn und Jason machte hier Urlaub oder so. Naja, wenn man berühmt ist, dann kennt man bestimmt auch Stars, ist ja irgendwie klar.

Auf der Fensterbank stand ein Aschenbecher ... und fragen konnt' ich ja mal.

»Darf ich hier rauchen?«

Rip lächelte.

»Nur, wenn du das auch auf englisch fragen kannst.«

Ähem, na gut.

»Is it allowed to smoke here?«

Ich kriegte schon wieder rote Ohren, also langsam wurd' das lästig. Dafür lächelte Jason mich an.

»Sure, take the ashtray down there. Besides is there a special reason for wearing your tie?«

»Yes, it's a present from Rick!«

Oops, das hatt' ich schon gesagt, bevor ich gemerkt hatte, daß ich englisch redete.

(Okay, so toll ist mein Englisch auch noch nicht, ich erzähl jetzt einfach in Deutsch weiter)

Jason nickte.

»Das ist ein guter Grund, aber bei uns läuft eigentlich nur Rip mit Krawatte durch die Gegend.«

Ja, das konnte ich mir vorstellen, das war hier alles völlig anders, als ich gedacht hatte. Na gut, ich nahm den Aschenbecher, holte meinen Tabak raus und fing an zu drehen, als Rip mir ’ne Schachtel von seinen Kippen rüberschmiß.

»Rauchen ist ungesund, aber wenn du ohne Filter rauchst, dann ist es unvermeidlich, daß du Tabak an der Mundschleimhaut hast und natürlich auch im Magen-Darm-Trakt und das macht es noch gefährlicher. Behalt das Päckchen, ich kümmere mich um den Nachschub. Rick, können wir kurz in mein Büro gehen?«

Die Beiden nahmen ihren Kaffee und zogen los und ich rauchte eine Benson und Hedges ..., hm, schmeckte ziemlich gut, egal, ich saß bei einem Star und seinem Freund und wußte nicht so ganz, wo ich mich hintun sollte und was ich reden soll und so, immerhin waren die beiden ja auch schon ein bißchen älter als ich. Zum Glück war Richie wirklich cool und erzählte so ein bißchen über sich und Jason und wir redeten dann wie ganz normale Leute, war echt schön. Dann tauchte Rick wieder auf.

»David, kommst du eben mit?«

Tat ich und ich kriegte gerade noch so mit, wie sich Richie und Jason überrascht anschauten. Wow, Rips Büro sah echt nach Arbeit aus, der Schreibtisch war riesig, aber wir setzen uns in die Ecke, da war so ’ne Couchecke.

»David, ich habe den Jungs bisher nur gesagt, daß du ein Freund von Rick bist und für ein paar Tage kommst, um deine Zähne behandeln zu lassen. Es ist deine Entscheidung, nur würde ich vorschlagen, den Dreien die Wahrheit zu sagen. Ich habe zwar schon früher Leute behandelt, die über die Gruppe zu mir gekommen sind, aber du bist der erste, der auch ein paar Tage hierbleibt, daher ist das für uns alle etwas neues. Und ich glaube, es ist auch an der Zeit, meine Familie über die Gruppe aufzuklären, nach den letzten Tagen dürften sie dafür Verständnis haben.«

Also, ich wußte zwar nicht, was er mit diesen ‚letzten Tagen‘ meinte, aber von mir aus konnten Richie und Jason ruhig wissen, was los war.

»Äh, ja, klar, aber ... könnt ihr mir ein bißchen helfen, ich mein, wegen Englisch, so gut kann ich das noch nicht.«

Rick lächelte.

»Ich mach dir einen Vorschlag: Ich erzähle deine Geschichte und wenn ich was vergesse, dann sagst du es einfach ... und anschließend kann Rip die Drei über die Gruppe informieren.«

Damit war ich gut zufrieden und wir gingen wieder in die Küche.

»Richie, könntest du bitte Nick holen, wir haben etwas zu besprechen.«

»Aha, das Geheimnis wird gelüftet?«

Rip schaute ihn zuerst ziemlich durchdringend an und zwinkerte uns dann zu.

»Es gibt in dieser Familie keine Geheimnisse, nur Informationen, die erst zum geeigneten Zeitpunkt gegeben werden.«

Äh, und wo war da der Unterschied? Egal, jedenfalls tauchte Richie schnell wieder auf und dann kam dieser Nick ... wow. Also, bei Jason wußte ich einfach nicht so richtig, was ich sagen sollte, ich mein, er ist ein Star, aber bei Nick blieb mir echt die Spucke weg. Er sagte irgendwas, aber ich guckte nur in seine Augen und sein Lächeln und dann trat mich Rick unterm Tisch vor's Schienbein.

»Au ... äh, hallo Nick!«

Schon wieder rote Ohren, ich glaub', ich sollte meine Haare länger wachsen lassen, das wurd' ja langsam zum Problem. Ich versteckte mich schnell hinter der Kaffeetasse, und als ich mich traute, wieder hochzuschauen, lächelte mich Richie an, oh Mann, er hatte da wohl was mitgekriegt. Zum Glück fing Rick an zu reden.

»Also gut, hört mal zu ...«

Er erzählte von mir und wo ich herkam und was mir passiert war und wie ich zu ihm gekommen war und wo ich hinwollte, nur diese Gruppe ließ er weg. Richie und Nick guckten mich ziemlich entsetzt an, aber Jason sah wirklich ... hm, traurig aus. Dann redete Rip weiter.

»So, und jetzt kommt etwas, daß mich betrifft und das ihr jetzt auch wissen sollt. Es gibt noch mehr Jugendliche wie David, das wißt ihr ja inzwischen ...«

Die drei nickten, dafür hatte ich keinen blassen Schimmer, wovon er eigentlich redete.

»... und ich bin schon früher damit in Kontakt gekommen. Bei Unfällen werden natürlich hin und wieder auch die Zähne in Mitleidenschaft gezogen, aber eben auch dann, wenn Kinder oder Jugendliche verprügelt werden. Roland hat mich vor einigen Jahren einmal gebeten, einem Jugendlichen zu helfen, dem sein Vater einige Zähne abgebrochen bzw. ausgeschlagen hatte ... nun, ich habe natürlich zugesagt, und als der Junge vor mir saß, da war ich schockiert .... erschrocken, wütend ... ich konnte einfach nicht glauben, das so etwas möglich war, daß es solche Väter gibt.«

Rip machte ’n Moment Pause.

»Ich habe dann Roland gefragt, ob ich noch etwas für diesen Jungen tun könnte und er hat mich gefragt, ob ich mich ernsthaft für solche Kids engagieren möchte. Ich habe Ja gesagt und Roland hat mir dann von einer Gruppe erzählt, eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hatt, eben diesen Jugendlichen zu helfen, auch dann, wenn die juristische Seite problematisch ist und ich habe ihn nur gefragt, wo ich unterschreiben muß, um Mitglied zu werden.«

Richie guckte, als ob ihm Rip gerade erzählt hätte, daß die Uhren ab heute rückwärts gehen und Nick war auch überrascht.

»Ich habe seitdem einige Kinder und Jugendliche in der Praxis gehabt, die in der Buchhaltung nicht auftauchen und ich habe schon länger darüber nachgedacht, mehr zu tun, als sie zu behandeln und ihr seht, daß ich zu einer Entscheidung gekommen bin, David ist ja nun hier. Eines noch: Was wir tun, ist illegal, aber ich bin trotzdem der festen Überzeugung, daß es richtig ist. Es tut mir leid, daß ich euch nicht vorher informiert habe,
aber es war natürlich notwendig...«

Richie unterbrach ihn.

»Das Ganze geheim zu halten, schon klar. Dad, ich finde es großartig, was du tust, ich wünschte nur ... du hättest uns eher ins Vertrauen gezogen!«

Rip seufzte.

»Ja, vielleicht war es ein Fehler, so lange zu warten, aber ... ich glaube, ich wollte euch einfach nicht mit solchen Dingen konfrontieren, ich habe selbst manche Nacht nicht geschlafen und ich bin immerhin Arzt und habe schon viel gesehen. Nun gut, jetzt habe ich es euch gesagt, Richie hat ja schon seine Meinung gesagt, aber wie steht ihr anderen dazu?«

Jason holte tief Luft.

»Ich glaube, bei mir kannst du dir das denken, ich bin natürlich dabei!«

Nick guckte immer noch ziemlich erstaunt.

»Wart mal bitte! Soll das heißen, du hast die ganzen Jahre ... ja, so eine Art Geheimleben geführt und illegal Jugendlichen geholfen? Die viele Arbeit, die du hast, den Streß, die langen Nächte, die dabei draufgegangen sind, ich meine, ich finde es gut, aber ich kann nicht verstehen, warum du uns nicht eher eingeweiht hast! Und ich möchte wissen, wer noch dazu gehört!«

»Nick, ich glaube, du hast da eine falsche Vorstellung. David ist erst der achte Patient, der über die Gruppe zu mir kommt und über die Jahre ist das wirklich nicht viel Arbeit, ich bin ja kein Geheimagent oder so etwas. Ich habe schon gesagt, daß Roland zur Gruppe gehört und ihr könnt euch denken, daß Rick auch dabei ist.«

»Und ich glaube ...«

Nick sprach sehr langsam.

»... daß ihr eine internationale Gruppe seid. David hat über seinen amerikanischen Brieffreund Kontakt zu euch bekommen, und das bedeutet, daß es wohl auch in den USA Leute gibt, die da mitmachen.«

Rip und Rick schauten sich an, dann übernahm Rick.

»Du hast recht. Die Gruppe ist weitgehend international tätig, aber mach da jetzt bitte keinen Geheimdienst draus, wir sind hier nicht bei Mission Impossible. Wir verstehen uns eher als eine Art Netzwerk, jeder Beteiligte bringt seine Fähigkeiten ein, und zusammen haben wir dann schon eine recht beachtliche Kapazität. Das funktioniert aber nur deshalb, weil wir geheim arbeiten. Uns ist klar, daß ihr den Mund halten könnt, sonst hätten wir gar nicht erst über die Gruppe gesprochen.«

»Okay, ich denke auch, daß es richtig ist, was ihr tut.«

Rip sah ziemlich erleichtert aus.

»Das hatte ich gehofft und ich bin sehr froh, danke! Gut, dann mal an die Arbeit, es ist zwar Wochenende, aber ich würde gern einen kurzen Blick auf Davids Zähne werfen. Richie, bereitest du das bitte vor und nimmst seine Daten auf, gib sie aber noch nicht ein, Patienten wie David tauchen in den offiziellen Dateien nicht auf.«

Richie grinste.

»Natürlich, aber sollten wir nicht zuerst David zeigen, wo er seinen Kram lassen kann?«

Gute Idee, ich war nicht so rasend heiß auf diese ganze Zahnarztsache, nee, ich hatte nicht wirklich Angst davor, aber ein paar andere aus meiner Klasse hatten mal erzählt, daß das ziemlich weh tun konnte. Nick hatte die Lösung.

»Das kann ich machen, du brauchst ja sowie etwas Zeit für die Vorbereitung, ich bring ihn dann vorbei!«

Dann stand Rick auf.

»Und ich muß dann auch wieder los, Ingo kommt gleich noch vorbei.«

Wir gingen vor die Tür und Rick nahm mich in den Arm und küßte mich auf die Stirn.

»Paß auf dich auf, Kleiner! Und laß mal was von dir hören!«

»Darauf kannst du dich verlassen und grüß Ingo, ja? Und Rick, danke für alles!«

»Da nich für.«

Ich kannte ihn ja eigentlich noch gar nicht so lange, aber ich hatte trotzdem feuchte Augen und ich drückte ihn ganz fest und ich schaute noch hinter ihm her, als er schon weg war. Wieder so ein Abschied ... Nick legte mir die Hand auf die Schulter und ich zuckte zusammen, nicht weil ich erschrocken war, sondern weil er die linke erwischt hatte, aber das konnte er ja nicht wissen, er stotterte.

»Oh … tut mir leid, ich dachte ... ich wollte nicht ...«

Oh Mann, ich war schon wieder ’n Moment weg, Nick hatte wirklich grüne Augen und da hätt' ich drin baden können.

»Nee, kein Problem, aber meine Schulter ist' noch 'n bißchen kaputt.«

»Oh, tut mir leid, was hast du denn?«

Ich erklärte es ihm und er verzog das Gesicht.

»Puh, hör auf, das tut ja schon beim Zuhören weh! Sag mal ...«

Nick schaute mich 'n Moment an, bevor er weiter redete.

» ... ist dir klar, daß Richie und Jason ... sich sehr nahe stehen?«

Ich lächelte.

»Du meinst, sie sind schwul?«

Naja, ich mein, so wie die beiden sich angeguckt hatten, war das ziemlich klar gewesen und wo ich jetzt endlich mal klargekriegt hatte, daß ich nicht der einzige Junge auf dieser Welt war, der Jungs mochte, guckte ich eben auch auf sowas.

»Ja. Wenn du damit ein Problem hast, dann sag es besser gleich!«

Also, jetzt mußte ich wirklich grinsen.

»Nee, ich sicher nicht und ...«

Naja, wenn Richie und Jason schwul waren und das für Nick okay war, dann konnt' ich ja auch sagen, was mit mir war.

» ... ich bin ja ... naja ...«

Das war jetzt aber echt schwieriger, als ich gedacht hatte.

» ... ich mein ... ich bin auch schwul.«

Puh, geschafft. Nick lächelte

»Gut, dann sind wir ja schon vier. Komm, gib mir mal deinen Rucksack, den mußt du mit deiner Schulter wirklich nicht selbst tragen.«

Äh, nochmal langsam ... wieso vier? Richie, Jason, ich und ... tja, Nick mußte wohl sich selbst gemeint haben, aber er war schon losgegangen, irgendwie war das für ihn wohl völlig klar ... also, hier war das mit dem Schwulsein wohl wirklich kein Problem.

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15. Kapitel


Nick half mir dann, meinen Kram in einen Schrank zu räumen und zeigte mir, wo das Bad war und vor allem, wo die Waschmaschine stand, ich mußte unbedingt mal ein paar Sachen waschen und dann ging's zu Richie. Wow, Rip hatte wohl alles in dem Haus, wir gingen runter und durch ein paar Türen und dann war das wie beim Arzt, Richie hatte sogar weiße Sachen angezogen und er fragte mich alle möglichen Sachen und ob ich schon mal krank gewesen wäre und sowas, jedenfalls kam dann Rip, auch in weiß, und schaute kurz auf das Blatt, auf dem Richie alles aufgeschrieben hatte.

»Okay, laß mal sehen ... du warst vor sechs Jahren das letzte Mal beim Zahnarzt?«

Er sagte das so, als ob ich drei Köpfe hätte.

»Ja, in der Schule, da kam ein Zahnarzt und hat gemeint, ich sollte mal so richtig zum Zahnarzt gehen, aber irgendwie hat das nicht geklappt.«

»Das hört sich nach Arbeit an!«

Erst ging's zum Röntgen, danach mußte ich dann auf diesen Stuhl und kriegte eine Serviette umgehängt und dann machte ich den Mund auf. Rip hatte so kleine Metalldinger in der Hand und schaute in meinen Mund. Er sagte irgendwelche Zahlen und ein paar andere Wörter, die ich nicht kannte und Richie schrieb das alles auf.

»David, in deinem Mund sieht es ungefähr so schlimm aus, wie ich befürchtet hatte, da haben wir eine Menge zu tun. Du solltest am Montag gut frühstücken, denn das Mittagessen fällt für dich aus.»

»Äh, ja, aber mußt du denn wirklich ...«

»David, ich muß. Es ist besser, die Sache jetzt einmal in Ordnung zu bringen und dann hast du Ruhe.«

Ich stöhnte.

»Keine Panik, wir fangen erst am Montag an. Gut, dann bist du jetzt fertig.«

Das hieß, daß ich aus dem blöden Stuhl rauskam und ich war so schnell draußen, daß ich Kondensstreifen zog. Ich hab' die Küche dann wiedergefunden, aber da war keiner und da ging ich dann Wäsche waschen, also erstmal wieder meine alten Sachen anziehen und das fühlte sich schon komisch an und dann ab zur Waschmaschine. Tja, und dann wußt' ich nicht, was ich machen sollte, ich mein, so ein großes Haus ist bestimmt was tolles, aber wenn man mal einfach so jemanden treffen will, dann ist das schon schwierig und die Leute hatten bestimmt auch ohne mich genug zu tun. Fernsehen wollt' ich nicht und die Sonne schien, also ging ich mir mal den Garten anschauen ... ganz schön groß, ich holte mir einen von diesen Stühlen und stellten ihn in den Schatten, so richtig gemütlich. Und dann tat ich so, als ob ich nachdenken würde, naja, so wie in der Schule eben, Augen offen und an was schönes denken. Na gut, ich geb's ja zu, ich hab an Nick gedacht, wär schon toll, wenn er mein Freund wär' ... dann könnten wir zusammen schwimmen gehen und in der Sonne liegen und ich könnte ihm den Rücken eincremen und er könnte mir das Knie lecken und ... was? Ich zuckte zusammen, weil da wirklich wer mein Knie leckte und das war dieser Schäferhund, der mich angebellt hatte.

»Na, mein Kleiner, ich mag dich ja auch, aber jetzt hör auf, mich abzulecken, meine Knie sind ziemlich sauber.«

Ich streichelte ihn, ich find Hunde einfach toll, solange sie mich nicht anbellen und dieser hier mochte mich wohl. Irgendwann zog ich die Hand weg und er schaute mich dann nur groß an ... und sprang mir auf den Bauch. Und leckte mir das Gesicht!! Das ist der Nachteil von diesen Gartenstühlen, wo man die Lehne ganz weit runterstellen kann, es dauerte einfach viel zu lange, bis ich hochkam und der Hund wieder auf dem Boden war ... Mist, mein einziges sauberes T-Shirt hatte sich jetzt auch erledigt, ich hatte Spucke im Gesicht und trotzdem mußte ich lachen.

»Hey, Hund, jetzt muß ich mich waschen und wenn ich wiederkomme, dann spring ich dir auf den Bauch und leck dir die Schnauze ab, also versteck' dich besser!«

Okay, als mein Gesicht wieder sauber war, ging ich noch mal eben unauffällig in der Küche vorbei, denn da war ein Kühlschrank und wo ein Kühlschrank ist, da ist auch Wurst; ja, ich weiß, sicher kriegte der Hund hier genug zu fressen, aber so ein Scheibchen Wurst zwischendurch ... die Wurst war schneller weg, als ich gucken konnte und dann hielt ich ihm die Hand hin, weil ich ihm zeigen wollte, das nichts mehr da war und er sabberte mir die Hand ab - gab es irgendwas, das dieser Hund nicht ableckte? Egal, jedenfalls konnte er Stöckchen holen und das spielten wir ziemlich lange und dann versuchten wir, Verstecken zu spielen, aber das war nicht so der Hit und dann wollte ich ihm beibringen, sich hinzulegen und dann auf dem Rücken zu wälzen ... hm, sagen wir mal, das mit dem Hinlegen kapierte er ja noch so irgendwie, aber sich dann so auf dem Rücken umdrehen - keine Chance. Ich zeigte es ihm sogar, ich drehte mich wie ein Blöder auf dem Rasen hin und her und der Hund guckte auch ganz genau zu, aber das war's dann auch, er setzte sich auf sein Hinterteil und kratzte sich und dann klatschte jemand.

»Interessante Vorstellung, du solltest Eintritt nehmen!«

Ich sprang auf ... oh ha, Rip und zwei Jungs, die ich nicht kannte, scheiße, wenn die gesehen hatten, was ich da auf dem Rasen gemacht hatte ... mußten sie wohl, denn sie wußten gar nicht mehr, wohin mit ihrem Grinsen und der Hund sprang wie bescheuert um den Jungen herum, also um den jüngeren von den Jungs. Hm, der war sogar jünger als ich und guckte mich ganz genau an und der Ältere sah irgendwie so aus, als wär' er innendrin sehr müde.

»Hi, das ist Janosch und ich bin Luke, wir wohnen auch für ein paar Tage hier. Rinty gehorcht wohl noch nicht aufs Wort, wie?«

Verdammt, ja, Rinty hieß der Hund, hatte Rip ja auch gesagt.

»Ja, hat eigentlich ganz gut geklappt, nur zum Schluß hat er nicht mehr mitgemacht, aber das bring ich ihm noch bei!«

Rip lachte.

»Da hast du dir ja was vorgenommen. Na komm, gehen wir rein, es gibt gleich Abendessen und vielleicht möchtest du dich vorher noch waschen und umziehen.«

»Waschen ja, aber Umziehen wird schwierig, denn mein Zeug ist gerade in der Waschmaschine.«

»Kein Problem, einer der Jungs kann dir bestimmt ein T-Shirt leihen.«

Rip nahm mich dann noch eben schnell zur Seite.

»David, Luke und Janosch wissen nur, daß du wegen einer Zahnbehandlung hier bist. Du mußt selbst entscheiden, ob du ihnen mehr von dir erzählen willst, ich glaube, sie würden dich gut verstehen.«

Ich nickte ... naja, mal sehen, ich wollt' erstmal wissen, wie die beiden so waren. Egal, ich ging noch eben schnell zu Nick hoch.

»Hi, äh, ich hab ’n bißchen mit Rinty gespielt und mein anderes Zeug ist in der Waschmaschine und Rip meinte, daß du mir vielleicht ’n sauberes T-Shirt leihen kannst?«

Er grinste.

»Klar, aber es wird dir ein bißchen zu groß sein, aber das macht ja nichts, wart mal ...«

Er griff in seinen Schrank.

»... probier das mal, das könnte gehen!«

Tat ich auch, also, ich wollt' es gerade anziehen, als Nick tief Luft holte.

»Scheiße! Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

Mist! Die blauen Flecken war´n zwar nicht mehr so ganz blau, aber man konnte sie noch ganz gut sehen und die Schulter sowieso und da hatt' ich nicht mehr dran gedacht.

»Laß mal, ist schon wieder besser.«

Nick guckte aber immer entsetzter.

»Oh Mann! Das gibt es ja gar nicht. Warte hier, das soll sich Dad mal ansehen!«

Und weg war er. Na toll. Irgendwie hatte ich ja gehofft, daß wir Freunde werden könnten, aber das konnt' ich mir ja jetzt wohl in die Haare schmieren. Scheiße, war's denn immer noch nicht genug? Nu' war ich schon abgehauen und mein Stiefvater versaute mir immer noch alles. Ich hatte echt die Schnauze voll, ich mein, wenn mich früher mal wer aus meiner Klasse zu sich nach Hause eingeladen hatte, dann war das meist nur einmal, weil ich ja einer von denen war, mit denen man besser nichts zu tun hat. Und wenn ich dann ging, dann stand da immer 'ne Mutter oder so und die brauchte nicht viel sagen, war schon klar, daß ich nicht wiederkommen sollte. Als das dann mit Chris und Kai passierte, da hatte ich gedacht, daß das jetzt anders würde und dann Julian und Rick und Rip. Und jetzt war's, als ob ich wieder 13 wär' ... und für 'n Moment hatte ich echt Angst, daß Rip mich so angucken würde, wie damals die Eltern von den anderen.

Rip kam rein.

»Nick sagte, ich sollte zu dir kommen ... tut mir leid, David, er hat so etwas noch nie gesehen. Wie geht es denn deiner Schulter?«

»Wird so langsam besser, ich merk eigentlich nicht mehr viel.«

»Und die anderen Wunden? Tut da noch etwas weh?«

»Eigentlich nicht.«

Rip nickte.

»Ich gebe dir später noch Salbe, die sollte dafür sorgen, daß die Blutergüsse schneller zurückgehen und sag bitte Bescheid, wenn du medizinische Hilfe brauchst, okay?«

Ich nickte.

»Gut, dann komm, ein vernünftiges Abendessen wird dir sicher nicht schaden.«

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16. Kapietel


Ich zog schnell Nicks T-Shirt an und dann gingen wir runter ... ja, das hatt' ich schon gedacht, Nick setzte sich ans andere Ende vom Tisch und guckte nur zwischendurch mal rüber zu mir. Ich fühlte mich ziemlich mies, aber passiert war passiert. Ich hörte nur so halb hin, was die Leute so sagten und kaute auf dem Essen herum und dann hörte ich meinen Namen.

»... und da könnte David ja auch helfen, es macht bestimmt Spaß, den großen Baum zu fällen!«

Rip sah gar nicht glücklich aus, aber da knallte Nick schon volles Rohr dazwischen.

»Nein!«

Ich zuckte zusammen und den anderen ging's genauso und sogar Rip guckte ziemlich erstaunt.

»Wie dem auch sei, eure Arbeitsbereitschaft in allen Ehren, aber ich bin auch nicht so begeistert. Der Garten gefällt mir so, wie er ist.«

Damit hatte sich das mit dem Baum dann erledigt, nur war ich wegen Nick traurig. Ich kriegte mit, wie er nach dem Essen kurz mit Rip redete und dann gingen die beiden weg.
Wir räumten noch schnell alles auf und dann ging ich erstmal, meinen Kram aus der Waschmaschine holen ... und da gab's sogar ’nen Trockner. Als ich wieder hochkam,
lief mir Nick über den Weg.

»David! Wart mal! Ich wollt dir noch was sagen ...«

Und ich wußte auch ziemlich gut, was er mir sagen wollte, das hatt' ich schon zu oft gehört, war immer das gleiche, einmal mehr würd' mich nicht umbringen.

»Okay, is' schon klar, ich hab das schon oft gehört, also mach's kurz.«

»Was hast du schon oft gehört?«

»Das, was du gleich sagst. In meiner Gegend heißt das einfach ‚Verpiß dich‘, vielleicht
sagst du's ’n bißchen freundlicher, aber es ist das gleiche.«

Erst guckte er mich groß an und dann wurden seine Augen traurig.

»David, ich wollt mich bei dir entschuldigen! Rick hat zwar erzählt, daß dein Vater dich verprügelt hat ...«

»Mein Stiefvater!«

» ... sorry, dein Stiefvater, und du hast mir von deiner Schulter erzählt und ich konnte mir ja schon denken, daß das nicht so harmlos war, aber als ich dich gesehen habe, da ... ich wußte einfach nicht, was ich machen sollte! Ich war einfach ... völlig durcheinander und dann war ich wütend und dann ... jedenfalls habe ich eben mit Dad gesprochen und ich wollte dir einfach sagen, daß ich sehr froh bin, das du hier bist!«

»Das ... ich hier bin? Du ... du bist nicht sauer?«

»Nein, sicher nicht, ganz im Gegenteil! Du bist jemand ganz besonderes und ich wäre sehr stolz, wenn wir Freunde werden würden!«

Meine Stimme war ziemlich leise.

»Ich auch.«

Er umarmte mich und ich ihn auch, wow, davon hätt' ich höchstens geträumt.

»David, nicht böse sein, ich muß gleich noch weg, aber was hältst du davon, wenn wir morgen mal zusammen losziehen?«

»Super! Klar! Gerne!«

»Gut, ich freu mich drauf!«

Und wie ich mich erst freute! Ich summte so leise vor mich hin und ging ins Wohnzimmer, die Nachrichten liefen grade ... nee, ich da hatt' ich jetzt keine Lust drauf, mal sehen, was Rinty so machte. Er lag neben dem Stuhl, den ich da hingestellt hatte und auf dem Stuhl saß der Junge, dieser Janosch. Es war ganz still und der Junge zuckte richtig zusammen, als ich näher rankam.

»Oh ... sorry, wenn du willst, laß ich dich allein.«

Ich hatt' zu spät gesehen, daß seine Augen rot waren.

»Nein, schon okay ... bleib ruhig hier.«

»Was is'n los mit dir?«

»Mein Vater ist gestern gestorben.

»Tut mir leid.«

»Mir nicht.«

Oops, da war was in seiner Stimme ... er meinte genau das, was er da gesagt hatte.

»Streß mit ihm gehabt?«

»Ja, so ungefähr.«

»Hm, ich hab zwar keinen blassen Schimmer, wer mein Vater ist, aber ich glaub', ich würd' auch weinen, wenn er gestorben wär'.«

Der Kleine guckte mich ganz groß an.

»Du kennst deinen Vater nicht?«

»Nee, echt nicht. Ich glaub, so ganz genau weiß meine Mutter das auch nicht, sie hat jedenfalls nie was gesagt.«

»Ich wünschte, ich hätte das Glück wie du!«

Ich verzog das Gesicht.

»Dann hättest du aber vielleicht ’n Stiefvater gekriegt und das ist dann echt der letzte Scheiß und ...«

Ja, ich wußt schon ziemlich genau, was ich da redete, aber ich dacht mir halt, daß Janosch merken würde, daß sein Alter vielleicht doch gar nicht so schlimm gewesen war.

»... was meinst du, wer mir die Zähne rausgehauen hat?«

»Was?«

»Ja, nach der Beerdigung wollt' ich nicht nach Hause und am nächsten Tag hat er mich dann so richtig verprügelt und im Krankenhaus hab ich dann mit den Bullen geredet, aber dann ist er wieder aus dem Knast gekommen und da bin ich dann abgehauen.«

»Was?«

»Kannst du auch noch ’n anderes Wort?«

»Klar, aber ich hab' irgendwie nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was du gerade erzählt hast - Beerdigung, Knast und so weiter.«

»Also, das war so ...«

’n paar Kippen später kannte er die ganze Geschichte, war schon komisch, ich mein, ich hatt' sie jetzt schon so oft erzählt, aber es wurd' nicht einfacher.

»Kann ich auch 'ne Kippe haben?«

»Du rauchst? Wie alt bist ’n du?«

»14. Und ich rauche nur manchmal. Also, kann ich?«

Ich gab ihm die Schachtel, ich mein, er war zwar nur ’n bißchen älter als Benni, aber wenn er sowieso schon qualmte. Wir machten die Dinger an, der Kleine guckte in den Qualm und meinte dann:

»Ich hätte das auch machen sollen.«

»Was hast damit gemeint? Das du das auch hättest machen sollen?«

»Na, abhauen.«

Davon hatte Benni auch manchmal geträumt und davon auf ’n Schiff zu gehen und dann rund um die Welt zu fahren ... ich schluckte und ich kam mir grade verdammt alt vor:

»Laß mal, so toll is' das nicht. Und nur wegen ’n bißchen Ärger haut man nicht ab.«

»Nein, nicht wegen ein bißchen, aber ...«

Seine Stimme war rauh und er machte die Kippe auf dem Rasen aus.

»... deswegen vielleicht!«

Er zog sein T-Shirt hoch ... rote Flecken, ’ne ganze Menge. Ich wußt' sofort, was das war, der Arsch hatte das auch mal mit mir gemacht, aber nicht so oft. Es tat echt höllisch weh und ich hatte plötzlich wieder den Geruch in der Nase, es stinkt, wenn man ’ne Kippe auf Haut ausmacht. Ich schaute ihm in die Augen.

»Das gottverdammte Arschloch!«

»Er ... er hat mich vergewaltigt.«

Als ich kapierte, was er meinte, da sah ich plötzlich Benni vor mir sitzen und dann war's wieder Janosch und dann sah ich ihn nur noch verschwommen und kriegte mit, daß ich weinte. Ich weiß auch nicht, da war einer, der wußte, wie es war, Angst zu haben, wenn man nach Hause kam und da mußt' ich mich nicht schämen. Ich glaub', ich weinte wegen Benni und Janosch und auch ’n bißchen wegen mir, naja, irgendwie war's fast so, als ob ich wieder ’n Bruder hätte ... und ich glaub', Janosch is' viel mehr mein Bruder, als jemand, der zufällig die gleichen Eltern hat.

Muß jedenfalls ’n ziemlich bescheuertes Bild gewesen sein, wie wir da saßen und heulten, aber als wir uns wieder losließen, da war was anders, ich mein, zwischen uns und ich wußt' ganz genau, daß ich jetzt ’n verdammt guten Freund hatte. Es war ganz einfach, mit Janosch zu reden, nicht nur über Väter und so, sondern überhaupt und wir fingen dann noch an, Rinty zu dressieren, aber entweder war Rinty zu blöd oder wir waren einfach miese Lehrer, jedenfalls zog er nach ’ner Weile einfach ab und ließ uns sitzen.

»Wird sowieso schon dunkel, sollen wir reingehen?«

»Klar ... was meinst du, gibt's noch was zu essen?«

Janosch grinste.

»Ich bin hier noch nie verhungert und Rips Kühlschrank ist eigentlich immer voll. Was meinst du, ob die anderen auch was wollen?«

»Fragen kann nicht schaden.«

Im Wohnzimmer saß aber nur Rip und guckte sich irgend so eine Politiksache an, aber er meinte er würd' ’ne Kleinigkeit mitessen und damit hatten wir freie Bahn; wir gingen in die Küche und grinsten uns an ...

»Wie groß ist bei Rip denn eine ‚Kleinigkeit‘?«

»Ooch, ich glaube, das können wir entscheiden ... sind fünf Gänge zuviel?«


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17. Kapielet



Naja, fünf Gänge wurden's dann doch nicht, aber das Problem war, daß Janosch unbedingt ein paar Würstchen warm machen wollte und ich Hunger auf Rührei hatte - es wurde dann doch Rührei und Rip kriegte einen großen Teller, der für mich und Benni gereicht hätte und fiel fast vom Sessel und wir kriegten uns nicht mehr ein vor lachen. Jedenfalls ließ er sich breitschlagen und wir konnten noch ’n Krimi gucken, aber Rip ging dann so in der Mitte vom Film schlafen. Janosch und ich teilten uns die Couch und schauten zu, wie irgend so ein Verrückter, Leute abknallte und ’n Bulle der genauso bescheuert war, versuchte dann, den Typen zu kriegen ... war nicht so toll und wir machten die Kiste dann aus.

»Also, so richtig müde bin ich noch nicht.«

»Ich auch nicht. Bei mir im Zimmer steht ’ne kleine Anlage, sollen wir hingehen?«

»Klar!«

Die Anlage war wohl von irgendwem ausrangiert worden, aber es kam Musik raus. Wir legten uns auf's Bett und redeten, über Sachen die schön waren ... und auch über andere Sachen. Irgendwann hörte ich Janosch neben mir nur noch leise atmen und ich dachte an früher, als Benni noch bei mir im Zimmer schlief ... als ich noch zur Schule ging ... was Schröder wohl grade machte? Und Chris ... und Kai ... und ...

»Was?«

»Tut mir ja leid, euch zu wecken, aber wenn ihr noch frühstücken wollt, dann müßt ihr aufstehen?«

Ich machte die Augen auf - Rip. Und irgendwas war falsch ... klar, mein Arm war noch nicht wach, kein Wunder, da lag Janoschs Kopf drauf. Ich schüttelte seine Schulter.

»Hey, Janosch! Aufwachen!«

Er brummte nur, aber er drehte sich um ... war echt fies, wie das im Arm kribbelte. Rip lächelte mich nur an, ist schwer zu erklären, ich mein, er war auch vorher schon freundlich, aber jetzt war da sowas ... naja, als ob seine Augen leuchten würden. Janosch rührte sich immer noch nicht und ich wollt' ihm grade die Nase zuhalten, als mir einfiel, daß er nicht Benni war. Also setzte ich mich auf's Bett, lehnte mich zu ihm rüber und pustete ihm ins Ohr. Funktioniert immer, Janosch machte sogar die Augen auf.

»Hi, Kleiner! Rip meint, das jetzt Frühstück ist, mieser Kaffee und trocken Brot, also hau rein!«

Er grinste.

»Morgen, David. Also, miesen Kaffee hab ich hier noch nie gekriegt. Okay, dann mal los!«

Wir gingen runter. Natürlich gab's mehr, als trocken Brot und Jason saß noch über der Zeitung, oh ha, so früh am Tag schon Englisch reden, ging aber ganz gut. Zwischendurch kam immer mal wer rein und ich traf auch die Mutter von Janosch und Luke, Lynn ... war eigentlich ’n ruhiges Frühstück, aber da war schon irgendwas anders, ich wußt' nur nicht, was. Später traf ich dann Nick.

»Hi David! Na, was machen wir denn?«

Das wußte ich verdammt genau.

»Schwimmen gehen!«

Aber Nick schüttelte den Kopf.

»Keine gute Idee, wenn du in Badehose rumläufst, bist du Gesprächsthema Nummer eins und bestimmt werden dich ein paar Leute fragen, wo du dir die blauen Flecken geholt
hast. Und dann noch deine Zähne, nee, laß mal, da könnten wir die Polizei gleich
einladen. Aber ich hätte eine Idee.«

»Und welche?«

»Laß dich überraschen! Ich geh noch mal eben telefonieren.«

Nick brachte eine große Tasche mit und wir fuhren ein gutes Stück und kamen an einen See. Nick parkte und wir gingen ... zu Booten??

»Wirst du seekrank?«

»Äh, keine Ahnung, hast du 'n Schiff?«

Nick lachte,

»Nein, ich nicht, aber ich hab eben mit Andreas gesprochen, wir können es heute haben. Komm, du Landratte, jetzt gehen wir mal auf große Fahrt.«

Wahnsinn! Ich auf 'nem Schiff! Himmel, das Ding schwankte ganz schön und ich ging wirklich vorsichtig, schließlich wollte ich ja nicht ins Wasser fallen. Nick rödelte irgendwas rum und gab mir dann 'ne Schwimmweste.

»Hey, ich kann schwimmen!«

»Glaube ich dir, aber wenn du bei der Halse bewußtlos über Bord gehst, sackst du wie ein Stein. Nee, zieh die Weste an, ist besser.«

Na gut, keine Ahnung, was ein Schiff mit meinem Hals zu tun hat, aber was soll's. Jedenfalls machte ich dann die Seile los und Nick warf den Motor an und wir fuhren von den anderen Schiffen weg.

»So, David, dann bring uns mal in die Mitte des Sees!«

Das brauchte er mir nicht zweimal sagen. Ich stellte mich an's Steuer und los ging's! War echt 'n tolles Gefühl, das Schiff machte genau das, was ich ihm sagte - Mann, mit dem Ding wär ich gern mal um die Welt gefahren.

»Gut, jetzt segeln wir mal ein bißchen. Hilf mir mal!«

Klar, machte ich und da bekam ich dann auch mit, daß segeln was mit Arbeit zu tun hat. Aber als der Motor aus war und wir einfach so fuhren und es ganz leise wurde - irre, das war was wirklich schönes! Wir fuhren ein gutes Stück und dann lenkte Nick nach links.

»Wir haben Glück, da hinten gibt's einen kleinen Anleger, der nicht mehr benutzt wird. Da können wir Kaffee trinken.«

Wir packten das Segel wieder weg und als wir näher kamen, sah ich dann, warum Nick dort Pause machen wollte - da waren rundrum nur Bäume und Büsche und so, sah richtig gemütlich aus. Wir banden das Schiff fest und Nick holte die Tasche.

»Komm, der Strand hier ist toll!«

Und das war er wirklich. Wir setzten uns an's Wasser und Nick holte 'ne Thermoskanne mit Kaffee und sogar 'n paar Plätzchen raus. Es war so richtig gemütlich und ich fing an, Nick ein bißchen zu beneiden.

»Muß schon toll sein, sowas zu können. Segelst du schon lange?«

Nick lächelte.

»Nein, ich habe vor zwei Jahren angefangen, aber als ich hier ankam, hätte ich mir auch nicht träumen lassen, einen Segelschein zu machen.«

»Wie meinst du das ... als du hier ankamst?«

»Stimmt, das weißt du ja gar nicht.«

Er trank Kaffee und stellte den Becher dann weg.

»Rip ist mein Vater, aber ich habe eine andere Mutter als Richie. Ich bin praktisch in England aufgewachsen, in Scarborough ... bei meiner Mutter.«

»Bist du ... mußtest du auch abhauen?«

Nick schluckte.

»Nein, sicher nicht, sie war die beste Mom, die man sich vorstellen kann und sie hat mich geliebt und ich sie.«

Er schaute mich nicht an.

»Sie ist ... gestorben, bei einem Unfall. Zusammen mit ... weißt du, ich bin zusammengezuckt, als Dad sagte, daß du kommst ... weil du David heißt. Und weil Davey ...«

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon Nick da eigentlich redete, aber ich sah seine Tränen und da hab ich ihn einfach in den Arm genommen. Dauerte ein bißchen und dann redete er weiter.

»Du hast wahrscheinlich gar nicht verstanden, was ich meinte, oder?«

»Ehrlich gesagt, kein Wort. Aber du mußt das auch nich' erzählen, wenn's so weh tut.«

»Doch, ich möchte es ... und ich glaube, Davey möchte es auch. Wir waren ungefähr so alt, wie du, als wir uns kennenlernten. Vorher hatten wir nur Zoff und das ging mir gewaltig auf die Nerven. Er ist mir dann mal abends über den Weg gelaufen und dann habe ich ihm sozusagen ein Gespräch aufgezwungen, es hat einfach seine Vorteile, daß Mum Psychologin war, da bleibt was hängen. Ich wollte einfach nur Frieden mit ihm schließen oder wenigstens in Ruhe gelassen werden. Und dann wurde es völlig verrückt. Der Grund, warum er dauernd versuchte, mich niederzumachen, war, daß er sich in mich verliebt hatte und er hatte einfach Angst, daß ich ihm deshalb weh tun würde ... er hatte einfach Angst. Die hatte ich dann auch, denn damals wußte nur Mom, daß ich schwul bin, aber ich hab es ihm dann auch gesagt und seitdem waren wir unzertrennlich. Wir haben unser coming out zusammen durchgezogen, sogar in der Schule ... es war manchmal wahnsinnig schwer und ich glaube nicht, daß ich es ohne Davey geschafft hätte. Er war dir sehr ähnlich David, nicht nur, weil ihr den gleichen Vornamen habt. Er konnte sehr stark sein, aber manchmal versteckte er seine Gefühle ... er kannte Angst und mußte erst wieder lernen, zu weinen und wenn er lächelte, dann strahlte er richtig, so wie du, David ... ich habe ihn mehr geliebt, als jeden anderen Menschen. Davey saß mit Mum im Auto, als der Unfall passierte. Sie haben beide nicht überlebt.«

Wir guckten auf den See und ich dachte daran, daß ich eben noch neidisch auf Nick gewesen war.

»Nick .... wenn was so richtig schön ist, warum tut das dann immer so weh? Ich mein, du weinst heute noch wegen Davey und wenn ich an Benni denke ... ich will nicht, daß mir sowas nochmal passiert.«

Nick schüttelte den Kopf.

»So etwas ähnliches hat Davey mir auch mal gesagt. Das funktioniert nicht, David. Wenn du einen Menschen sehr lieb hast, dann tut es besonders weh, wenn er geht, oder wenn ihr euch streitet. Aber es ist eben auch besonders schön, den anderen nur lächeln zu sehen oder mit ihm zu reden. Du kannst das eine nicht ohne das andere haben. Wäre es dir denn lieber, du hättest Benni nie kennengelernt?«

Ich wußte, was er mir sagen wollte.

»Nein, natürlich nicht. Ich glaub ... lieben is' sowas ähnliches, wie wenn du diese second-hand-Konserven kaufst.«

Nick guckte mich groß an.

»Was für Konserven?«

»Die ohne Etikett, wo du nicht weißt, was drin ist. Die Dinger sind echt billig, aber du weißt nicht, ob da Suppe oder Fleisch oder Gemüse drin ist, bis du sie aufgemacht hast - und dann ist es zu spät, entweder du magst es oder du mußt es wegschmeißen.«

Nick lachte.

»Also, du hast schon wirklich irre Vergleiche, aber da ist was dran. Gibt es solche Konserven wirklich?«

»Klar. Zwei Stück 'n Euro. Benni mochte am liebsten Gulaschsuppe, aber ich hab mich mehr über Rouladen gefreut ... aber manchmal gab's nur Bohnen und so 'n Zeug.«

Nick schüttelte den Kopf.

»Hätte ich nicht gedacht, das es so etwas gibt. Habt ihr oft sowas kaufen müssen?«

»Nee, 'müssen' sowieso nicht, aber ich hab mir gedacht, es wär' ganz gut für Benni, wenn er auch mal was warmes kriegt und ...«

Ich mußte grinsen.

»... manchmal haben wir Wetten abgeschlossen, was drin ist und der Verlierer mußte kochen. Aber ... bei Rip schmeckt's schon viel besser.«

Nick schlug mir auf die Schulter.

»Irgendwann koche ich mal für dich. Aber jetzt sollten wir weiterfahren, wir kommen sowieso schon zu spät zum Abendessen.«

Wir machten den Motor an und ich spielte nochmal Kapitän ... und natürlich kamen wir zu spät zum Essen. Nick hatte aber noch eine Überraschung für mich, nach dem Essen nahm er mich mit in den Keller, da unten war ein richtiges Studio, mit allen möglichen Instrumenten und so.

»Du hast mich heute gefragt, wie das mit der Liebe ist und da ist mir ein Song eingefallen, den ich auch sehr gern mag. Ich bin zwar nicht der große Musiker, aber ich versuch's mal.«

Und dann nahm er eine von den Gitarren, die da rumstanden, und fing an, ganz leise zu spielen und zu singen:


Some say love, it is a river
that drowns the tender reed.
Some say love, it is a razor
that leaves your soul to bleed.

Some say love, it is a hunger
an endless aching need.
I say love, it is a flower
and you its only seed.

It's the heart afraid of breaking
that never learns to dance,
It's the dream afraid of waking, that never takes the chance.
It's the one who won't be taken,
who cannot seem to give
and the soul afraid of dying, that never learns to live.

When the night has been too lonely
and the road has been too long,
and you think that love is only
for the lucky and the strong.

Just remember in the winter, far beneath the bitter snows
lies the seed
that with the sun's love
in the spring
becomes the rose

( Bette Midler - The Rose )



Ich hatt' ja schon viel gehört, aber sowas noch nie. Und in dem Moment wußte ich ganz
genau, daß es irgendwie gut weitergehen würde und das es irgendwo auf dieser
Welt jemanden geben würde, den ich lieben konnte und der mich lieben würde.
Und ich wußte auch, daß Nick mir da gerade was ganz großes geschenkt hatte.
Ich umarmte ihn und flüsterte nur »Danke« ... jetzt war nich' die Zeit für reden.

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Hallo,

Du hast dich gerade durch den 2. Teil von «Ende der Flucht» gekämpft und ich hoffe natürlich, daß er dir gefallen hat. Trotzdem kennst du noch nicht mal die hälfte der Geschichte *g* , die Teile von »Der junge und sein Leben« laufen parallel und erzählt die Geschichte aus den Blickwinkeln von Janosch, Luke und den anderen. Ich haben mir sehr viel Arbeit gemacht (okay, es hat auch verdammt viel Spaß gemacht *g*) und Ich fänden es sehr schade, wenn du nicht auch »Der junge und sein Leben« lesen würdest, erst dann verstehst du auch einige Hintergründe besser.

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