1. Teil

 

 

Dies ist eine " Drama & Coming Out " Geschichte die ich geschrieben habe.
Nun möchte ich auch euch ein wenig Teilhaben lassen.
Das Buch ist Leider noch nicht im Buchhandel oder über Amazon.de & Buch.de erhältlich.


Nun aber zur Geschichte






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Diese Story und alle Personen sind absolut frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Menschen wäre rein zufällig - und ich bin auch nicht der David in der Geschichte!

Diese Geschichte darf ohne mein vorheriges Einverständnis nicht weiterverbreitet oder publiziert werden - auch nicht auf anderen Internetseiten ! Alle verwendeten Marken- oder Firmennamen sind geschützt und werden hier nur aus literarischen Gründen verwendet.

Ich bevorzuge den Crossover zwischen alter, neuer und zukünftiger Rechtschreibung, besonders die Dialoge sind mit Absicht recht frei gestaltet.


 

Vorwort :


Alle, die «Streetkids» kennen, wird «Ende der Flucht» nicht überraschen, für alle anderen ist dieses Vorwort gedacht. Du hast eine harte, stellenweise brutale Story auf dem Schirm und wenn Du Dich gerade nicht sonderlich gut fühlst, dann lies diese Geschichte noch nicht. Trotzdem, es lohnt sich, «Ende der Flucht» zu lesen ... okay, ich bin der Autor, was soll ich anderes sagen ... aber es lohnt sich besonders deshalb, weil die Story recht nah an der Realität ist und es gibt viele Jungs, für die diese Realität hart und brutal ist. NetEscape ist als längere Geschichte geplant, in einem gewissen Sinn ist das erste Kapitel nicht viel mehr als eine notwendige Einleitung. Wenn Du am Ende merkst, daß Du Spaß daran hast, diese Geschichte zu lesen, dann such bitte einen guten Psychologen auf, wenn Du aber zornig, traurig oder entsetzt bist und am liebsten David treffen würdest, um ihm Deine Freundschaft anzubieten, dann hast Du etwas wichtiges verstanden.



Euer Jan K.


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Ende der Flucht

 

1. Kapitel :
 

Für alle, die sich nicht wehren können ... oder konnten

» ... und, David, bring den Müll runter, Vater kommt gleich!«

Das Arschloch sollte den Müll gefälligst selber wegbringen, schließlich stammte der größte Teil von ihm. Aber keiner weiß, wie er drauf ist, wenn er kommt und ich wollte eh noch weg, also was soll's. Ein Blick aus meinem Zimmerfenster - Mistwetter, der Winter hatte sich immer noch nicht erledigt ... vielleicht sollte ich mir doch mal 'ne dicke Jacke zulegen, bargeldlos einkaufen war ja so praktisch, vor allem, wenn man keine Kreditkarte hat und schnell genug laufen kann. Mach ich aber nicht so gerne, es gibt immer irgendwann einen, der schneller ist und ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, was der Mann meiner Mutter dann mit mir machen würde. Und Benni würde fragen, woher die Jacke kam. Ist schon mies, 'nen jüngeren Bruder zu haben ... die Alten zu bescheißen ist simpel, aber für Benni war ich der große Bruder und wenn er merkte, daß ich mir manchmal ein paar Sachen organisierte, dann würde er meinen, daß es okay ist, zu klauen - und das ist es nicht. Jedenfalls nicht für Benni. Egal, jetzt regnete es und meine Jeansjacke würde mir nicht viel helfen und in 'ner Viertelstunde wär' ich bestimmt klatschnaß und ich brauchte so ungefähr 'ne halbe Stunde und ich würde trotzdem gehen. Also gut, vier Stockwerke runter, den Müll in die Tonnen und schon trabte ich in Richtung Schule. War nicht viel los auf der Straße, kein Wunder, und ich hielt nur unter einem Vordach an, um mir 'ne Zigarette zu drehen - bei Regen nicht so einfach.

Ich hatte gut geschätzt, dauerte ungefähr 'ne Viertelstunde, dann kam der Regen so langsam in meinem T-Shirt an, naja, kein Wunder, ich ging den Weg seit ein paar Jahren und hatte reichlich Erfahrung. Ja, ist schon klar, ich hätte auch ein Fahrrad nehmen können ... aber wenn man in meiner Gegend ein Rad stehenläßt, dann kann man's auch gleich wegschmeißen, war also nichts mit Fahrrad. Und für alle Oberschlauen: Ja, natürlich gibt's Busse, aber die kosten Geld, also ging ich jeden Tag zu Fuß zur Schule. Und ungefähr seit 'nem halben Jahr auch mal nachmittags, nee, ich bin nicht so'n beschissener Streber, aber die machen nachmittags den Raum mit den Rechnern auf und wir haben Internet umsonst. Ist 'ne coole Sache, du hast deine Ruhe und kannst surfen, naja, die haben so'n Programm drin, auf bestimmte Seiten kommst du nicht, aber man kann nicht alles haben. Jedenfalls bin ich am Anfang nur hingegangen, weil Schröder - ja, genau, wie dieser Politikmensch, aber damit hörte die Ähnlichkeit schon auf - also, weil Schröder nicht aufgehört hatte, mich zu nerven. Schröder macht Mathe und Physik und jetzt auch Informatik und wenn er 'ja' oder 'nein' sagt, dann meint er das auch, der bescheißt dich nicht. Als ich ankam, war mein T-Shirt eindeutig feucht und der Wollpulli hing runter wie ein nasser Sack und ich war echt froh, im Warmen zu sein.

»Hi, Blondie!«

Ich hab's schon lange aufgegeben, was gegen den Namen zu tun

»Hallo, wie geht's den Kindern?«

Bei dem Spruch zuckte er immer noch zusammen, er hatte keine, aber er war einer von den Freaks, die sich Spinnen hielten und er hatte mal welche mitgebracht ... und er nannte sie 'seine Kleinen'. Seitdem erzählten wir den Kleinen, die neu an unsere Schule kamen, das Schröders Familie aus Spinnen bestand.

»Sie krabbeln. Hey, du setzt hier alles unter Wasser, geh dich abtrocknen!«

Schröder wußte, wo ich herkam, also fragte er gar nicht erst nach 'ner Regenjacke. War gut, nicht lügen zu müssen. Ich ging aufs Klo und hängte Pullover und Jacke über eine von diesen Trennwänden, nachmittags war das okay. Und es gab Papierhandtücher, praktische Sache. Zwei Minuten später holte ich mir das Englisch- Lexikon aus dem Schrank und setzte mich vor meinen Lieblingsrechner, war zwar 'ne echt langsame Kiste, aber dafür stand der Schirm so, daß kein anderer so einfach draufgucken konnte. Schröder wuselte bei den anderen Kids rum, aber er störte mich nie - er wußte, daß ich keinen Scheiß baute ... tat ich auch nicht, ich schrieb Mails. Simon wohnte in Michigan und sprach natürlich kein Deutsch ... und ich glaub, mein Englischlehrer würde sagen, daß er auch kein Englisch sprach, wenn er es eilig hatte, dann schrieb er irgendwie nach Gehör oder so. Aber ich hatte den Trick inzwischen raus, wenn ich gar nicht mehr durchblickte, dann las ich den Satz leise und meistens kam mir dann eine Idee. War nichts tierisch aufregendes, was wir da so schrieben, Alltag halt, für mich war's einfach toll, Mails nach Amerika zu schicken, ich mein, Amerika, das hat schon was. Für Simon war ich wohl Europa, ein Land, in dem reiche Amis manchmal Urlaub machten und in dem lauter uralte Burgen und Schlösser stehen - wenn er gewußt hätte, daß der größte Teil meiner Gegend aus Beton bestand. Simon ging in eine ziemlich große Schule und sein Vater arbeitete für eine Versicherung und sie waren erst vor 'nem Jahr oder so nach Michigan gezogen ... schien Simon nicht weiter zu stören, der Umzug meine ich. Er hatte noch 'ne Schwester und seine Mutter arbeitete halbtags. Naja, wir lebten halt beide in 'ner ganz normalen Familie, außer, daß Simons Leute seit ein paar Monaten wußten, daß er schwul war und meine nicht, egal, jedenfalls wußte ich, daß heute eine Mail von ihm da sein würde, er war vorgestern 16 geworden und ich hatte ihm natürlich 'ne Glückwunschmail geschickt ... ja, da war sie ja schon, mal sehen

»Hi David thanx 4 yor kin congrats ....«

Und so weiter. Ich brauchte so ungefähr 'ne halbe Stunde, dann hatte ich es. Mußte echt 'ne Riesenparty gewesen sein, so um die 25 Leute und es ging bis weit nach Mitternacht und er hatte jetzt seinen Führerschein und war auch schon gefahren. Ein bißchen neidisch war ich ja schon, aber was sollte ich mit 'nem Führerschein, sowas ist ohne Auto ziemlich witzlos. Ich fing schon mal mit der Antwort an, es würde ein paar Tage dauern, bis sie fertig war, das Schreiben war nicht so schwierig, aber ich wollt ja auch noch 'n bißchen surfen. Scheiße, wenn ich noch 'n paar Jahre auf diesen Ministühlen sitzen mußte, dann konnt' ich mir gleich 'n neuen Rücken kaufen, und so groß bin ich nun auch wieder nicht. Ich war gerade irgendwo ganz tief im Netz, als Schröder kam.

»David, ich schließ gleich ab, sieh zu, daß du fertig wirst!«

»Was? Oh, Scheiße!«

Schröder machte immer um sechs zu ... und um sechs gab's bei uns Abendessen. Pünktlich.

»Zeit vergessen? Kann passieren, hol deinen Kram, ich fahr deinen Rechner runter!«

War zwar nett gemeint, aber ziemlich sinnlos, bis um sechs war ich eh nicht zu Hause - trotzdem rannte ich auf's Klo und holte meinen Kram, ich kam grade am Computerraum vorbei, als Schröder rief »David!«

Mist, ich hatte keine Zeit »Ja!«

Er lächelte mich an »Ich mach hier Schluß, wenn du willst fahr ich dich eben nach Hause, ich muß sowieso in die Richtung.«

Wir wußten beide, daß er nicht in meine Richtung mußte, aber er kannte meine Eltern. Aber wir sprachen nicht über so etwas. Normalerweise nehme ich keine Almosen, aber ich hatte es echt eilig »Ja, das wär' klasse ... danke!«

Okay. Licht aus und abschließen und dann in seinen Golf.

»David?«

Sein Tonfall war ... anders und das mochte ich nicht »Ja?«

»Also, wenn du ... Schwierigkeiten hast, dann ...«

Ich ließ ihn nicht ausreden »Danke, ich hab keine Schwierigkeiten.«

»Ich wollte es auch nur gesagt haben.«

So weit kam das noch, daß ich mit 'nem Lehrer über meine Familie sprach. Nicht mal mit Schröder. Wir kamen an »Danke!«

»Kein Problem.«

Zehn nach sechs, Bennis Vater stand auf, als ich kam »Wo kommst du her?«

»Schule.«

Puh, Glück gehabt, er schlug mich nur einmal, mit der flachen Hand. Er schlägt nie mit der Faust ins Gesicht, 'n blaues Auge wär' schwer zu erklären. Natürlich kriegte ich kein Essen, ich legte 'ne CD in den Player und machte Hausaufgaben - bis Benni kam »Hi, David!«

»Na, Kleiner, wie war der Tag?«

Ich verwurschtelte ihm die Haare, das mochte er eigentlich gar nicht und er wollte sich deswegen schon mal seine Mähne abschneiden, aber er hatte 'n wirklich schönes dunkles Braun und lang sah das einfach besser aus.

»Hast du deine Schularbeiten schon gemacht?«

»Klar, heut nachmittag, du warst ja nicht da. Hat Simon geschrieben?«

»Ja, sein Geburtstag muß toll gewesen sein und er darf jetzt fahren. Seine Eltern haben ihm ein paar Flugstunden geschenkt, wahrscheinlich sitzt er jetzt schon in einem Flieger.«

»Toll! Dann kann er ja doch Pilot werden!«

Simons großer Traum, aber seine Eltern waren dagegen ... aber da hatte sich wohl was geändert.

»Keine Ahnung, auf jeden Fall kann er jetzt fliegen lernen.«

Fliegen hin oder her, da waren immer noch meine Hausaufgaben ... später ging Benni ins Bad und machte sich fertig und dann ging ich, meine Mutter sagte noch Gute Nacht und dann brachte ich Benni ins Bett. Ja, ist schon klar, 'n 13-Jähriger findet auch allein ins Bett, aber .... das war so was wie ein Ritual. Also gut, es ist so ... als mein neuer Stiefvater bei uns einzog und Benni mitbrachte, war ich stinksauer, weil ich mein Zimmer jetzt teilen mußte. Ich mein, ich war 12 und dann so'n scheiß 10- Jährigen im Zimmer - na, klasse. Ich haßte die beiden, sie brachen so einfach in mein Leben ein und taten so, als ob sie jetzt zu Hause wären. Dabei war es mein Zuhause! Der Kleine war 'ne echte Nervensäge und ich versuchte die meiste Zeit, einfach nicht da zu sein. Dann wachte ich mal mitten in der Nacht auf und hörte den Kleinen leise weinen, naja, ich war nicht unbedingt nett zu ihm gewesen und irgendwie tat er mir leid. Also ging ich rüber ... nur war ich nicht der Grund für die Tränen. Benni hatte beim Abtrocknen einen Teller fallen gelassen und sein Vater hatte ihn mit einem Gürtel verprügelt. Ich machte das Licht an und sah zum ersten Mal Striemen. Am nächsten Morgen bin ich dann gleich zu Mama und sie sagte, sie würde sich darum kümmern. Am Abend kümmerte sich dann mein neuer Stiefvater um mich ... zwei Wochen kein Sport, damit es keiner sah. Klar tat's weh, aber viel schlimmer war, daß ich das Gefühl hatte, meine Mutter verloren zu haben. Jedenfalls kümmerte ich mich seit damals um Benni, deckte ihn zu, erzählte 'ne Geschichte, besorgte eine kleine Lampe, damit es nachts nicht so dunkel war ... so in der Art. Ist schon komisch, am Tag kannte ich keinen, der so gern und viel lachte, wie Benni, aber nachts ... dann rollte er sich zusammen, umklammerte seinen kleinen braunen Teddy und war wie ein trauriges Kind. Ist ja auch egal, jedenfalls brachte ich Benni ins Bett und legte mich selbst hin ... war eigentlich ein bißchen früh für's Schlafen, ich blickte zur Decke und fragte mich, wie das wohl ist, in einem Flugzeug zu sitzen ... hinter dem Steuerknüppel ... langsam abheben und dann hoch ... durch die Wolken ....

Ich weckte Benni und ging duschen ... dann scheuchte ich Benni ins Bad und machte das Frühstück. Wie üblich.

»Benni, zieh noch 'nen Pulli an, ist kalt draußen.«

»Nee! Jacke reicht.«

»Kuck mal aus dem Fenster!«

War schon klar, er hatte nur zwei Pullis und beide waren alt ... und wegen ein bißchen Kälte und Regen würde er keinen anziehen.

»Komm, iß dein Frühstück.«

»Ne, keinen Hunger.«

Also, das fing echt an, zu nerven. Seit ein paar Monaten jeden Morgen das gleiche Spiel »Hey, wenigstens 'ne Schnitte!«

»Hör auf, zu nerven, ich hab keinen Hunger!«

War ich mit 13 auch so? Ich glaub nicht.

»Okay, halbe Schnitte.«

Benni stöhnte, aber er aß 'n Stück Brot. Wenigstens etwas. Gut, saubermachen und spülen und dann ging's in die Schule.

So ungefähr war es eigentlich immer - bis zu dem Tag, als alles anfing.

Dienstag, 17. Februar, ich hab das Datum nie vergessen. Englisch war endlich vorbei und ich ging mit ein paar Jungs aus meiner Klasse zum Tor »... und beim nächsten Mal laß dir 'ne bessere Ausrede einfallen!«

»Möchte dich mal sehen, wenn Bergmann vor dir steht und dich anbellt! Da denkst du an gar nichts mehr!«

»Doch! An ein kleines Loch, wo du dich verkriechen kannst!«

»Okay, Jungs, ich muß noch auf Benni warten. Macht's gut!«

»Ja, klar, see you.«
 

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2. Kapitel :


Dienstags ging ich immer mit Benni nach Hause, wir hatten beide nach der 5. Stunde frei. Aber heute stand ich mir die Beine in den Bauch. Verdammt, wo blieb der Kleine denn? Zum Glück hatte der Regen aufgehört, aber es war arschkalt und ich fing langsam an, sauer zu werden. Der Kerl sollte nicht rumtrödeln, sondern seinen Hintern in Bewegung setzten!

»David! Was machst du denn hier?«

Schröder »Ich warte auf Benni.«

»Ja, hat denn ... hat es dir denn niemand gesagt?«

»Was gesagt?«

»Komm!«

Er rannte. Schröder rannte. Schröder! Niemand hatte je gesehen, daß Schröder sich schnell bewegt und ich bekam Angst. Er schloß den Wagen auf und los ging's und es ging echt los, er fuhr wirklich heftig - hielt ihn aber zum Glück nicht vom Reden ab »Benni ist heute morgen ins Krankenhaus gekommen, er hat Blut gespuckt. Wir wissen noch nicht was los ist. Ich hab gedacht, du wärst längst in der Klinik!«

Benni? Blut? Für einen Moment drehte sich alles.

»Oh, Scheiße!«

»Ja! Aber ... kann auch harmlos sein, vielleicht wissen die Ärzte schon was.«

Schröder kam mit ins Krankenhaus, war ganz gut, ist nicht so leicht, in so einem Kasten das richtige Zimmer zu finden »Hi, David!«

Benni sah eigentlich ganz normal aus, nur daß er so einen Schlauch im Arm hatte »Benni! Was machst du denn für Sachen? Wie geht's dir?«

»Gut! Ich weiß nicht, warum die so'n Aufstand wegen ein bißchen Blut machen. Vielleicht komm ich heut schon wieder raus.«

Ich war mächtig erleichtert. Die Tür ging auf »Guten Tag. Ich bin Dr. Michelberg, sie sind wahrscheinlich der Vater von Benni?«

»Nein, ich bin sein Lehrer, Schröder mein Name. Kann ich sie mal kurz sprechen?«

Der Doc schien etwas überrascht, aber dann nickte er. Die Beiden gingen raus und ich plauderte noch etwas mit Benni, also, die ganze Sache hatte mir wirklich einen ziemlichen Schrecken eingejagt und ich war unheimlich froh, daß es Benni gut ging.

Später kamen Schröder und der Doc wieder »David, ich muß los, der Doktor will noch mit dir reden. Und ...«

Er legte mir die Hand auf die Schulter »... diesmal hörst du mir zu! Wenn du was brauchst, egal was, auch wenn's ein Freund ist, dann komm zu mir, klar?«

Er hatte die Grenze überschritten, wir redeten nicht über sowas. Aber irgendwie war ich auch froh darüber.

»Okay.«

Im Zimmer von dem Doc stand auch 'n Aschenbecher und ich drehte mir eine.

»Wie alt bist du eigentlich?«

»15. Wieso?«

»Ich dachte immer, daß man erst ab 16 rauchen darf.«

Ich lachte »Weiß ich nicht. Aber ich glaub, dafür komm ich nicht ins Gefängnis.«

»Nein, aber vielleicht ins Krankenhaus. Wie dem auch sei, dein Lehrer hat mir ein bißchen was erzählt ...«

Er kriegte wohl mit, daß ich plötzlich wütend wurde. Schröder hatte kein Recht, über mich zu reden. Oder über Benni.

»... hey, das war richtig so. Es gibt für mich eine Schweigepflicht, keine Angst. Wir haben uns schon gewundert, warum Bennis Eltern nicht auftauchen, aber wie es aussieht, bist du ja wohl so eine Art großer Bruder, der sich um ihn kümmert.«

Verdammt, woher wußte Schröder das denn?

»Trotzdem muß ich unbedingt auch mit deinen Eltern reden, okay?«

»Natürlich, wahrscheinlich wissen sie nur noch nicht.«

Er lächelte traurig »Ja, wahrscheinlich.«

Hm, irgendwie wußte er wirklich mehr, als er wissen sollte. Zeit für einen Themenwechsel
»Benni sagte, daß er vielleicht heute schon wieder rauskommt?«

»Woher hat er das denn? Nein, tut mir leid, sicher nicht. Wir werden noch mehr Untersuchungen machen müssen, aber das wird eine größere Sache. David ...«

Er seufzte »... es gibt keine Methode, so etwas schonend zu sagen. Benni ist sehr krank, so viel wissen wir. Wir wissen noch nicht, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, aber wir werden alles tun, um ihm zu helfen, darauf hast du mein Wort. Er hat heute nachmittag noch eine Computertomographie, danach werden wir klarer sehen. David ... ach, scheiße!«

Er holte 'n Päckchen Kippen aus Schublade und machte sich eine an »Hör zu. In Bennis Darm gibt es ein Gewächs, das da nicht hingehört. Wir wissen noch nicht, ob sich das schon ausgebreitet hat, aber ...«

Und so weiter. Was er sagte, machte mir Angst. Sie meinten, daß es vielleicht Krebs wäre, auch wenn er das nicht so deutlich sagte »... also, sag Benni bitte noch nichts. Wir müssen erst sicher sein, okay?«

Die Wahrheit kam scheibchenweise, Tag für Tag, es war Krebs, im Darm, in der Leber, in einer Niere. Sie schnitten ihm den Bauch auf und später kriegte Benni dann Chemotherapie.
Er kotzte andauernd und ich sah ihn nur noch mit irgendwelchen Flaschen, aus denen
irgendwas in ihn rein lief. Und Benni lächelte. Und das war das schlimmste. Ich mein, er lag da und kotzte und keuchte und war zu schwach, um sich das Gesicht abzuwischen ... aber er lächelte.

Schröder kam, immer wieder. Manchmal auch andere Lehrer. Am Anfang auch ein paar Kids
aus Bennis Klasse, aber als es dann schlimmer wurde, blieben sie weg. Wie meine Mutter.
Und Bennis Vater.

Kai kam und Chris, eigentlich Christian, er mochte es nicht, wenn er Chris genannt wurde, wir taten es trotzdem alle. War schon verrückt, Kai war in meiner Klasse, aber wir waren eigentlich keine Freunde oder sowas und mit Chris hatte ich nur zusammen Sport und eigentlich kannten wir uns fast gar nicht. Aber das änderte sich. Sie kamen fast jeden Tag, allein oder zusammen, für ein paar Minuten oder für Stunden. Ich hab damals viel über Freundschaft gelernt. Als ich mal von einer Zigarettenpause wiederkam, hatte Benni es nicht mehr geschafft, an die Schale zu kommen und hatte alles über sich selbst gekotzt. Kai und Chris wischten ihn ab und zogen ihm ein neues Hemd an, als wär' es das normalste von der Welt. Da wußte ich, daß Benni jetzt drei große Brüder hatte.


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3. Kapitel :


Geburtstag im Krankenhaus ist 'ne ziemlich schlimme Sache. Die Schwestern besorgten ein paar Blumen für Benni und ich klaute so 'n kleinen CD-Player und ein paar CD's. Und zwei Bilderrahmen, Benni wollte ein Foto von mir haben und ich stellte mir seins ins Zimmer ... so war ich nachts nicht alleine.

Es war am 26. Juni. Michaela, die Nachtschwester, war grade da gewesen und hatte die Flasche gewechselt. Da machte Benni die Augen auf und schaute mich an. In den letzten Wochen war sein Blick immer so verschwommen gewesen, wohl wegen der Medikamente, aber jetzt war er ganz klar »David?«

»Ja, Benni, ich bin hier.«

»Werd' ich ... da oben ... wohl Simon treffen?«

»Simon?«

»Ja ... er fliegt doch ... da oben .... im Himmel.«

Ich konnte nichts sagen, ich weinte viel zu sehr »Du darfst nicht weinen ... du bist ... du bist doch ... mein großer Bruder.«

Das war das letzte, was er sagte.

Wir begruben ihn an einem Mittwoch, es regnete. Anschließend gab's Kaffee und Kuchen. Ich stand mit Schröder, Kai und Chris zusammen und ich wollte mich irgendwie bedanken, als Bennis Vater kam. Er klopfte mir auf die Schulter und sagte »Naja, immerhin hast du jetzt dein Zimmer wieder für dich alleine!«

Ich glaub, in dem Moment ging irgendwas in mir kaputt. Ich sagte ... gar nichts, es gab auch nichts, was ich hätte sagen können. In Schröders Augen sah ich blanken Haß und Kai und Chris ging's wohl auch nicht anders. Ich ging mit zu Chris, ich glaub, seine Eltern freuten sich sogar, mich zu sehen. Später kam Kai und die meiste Zeit saßen wir nur da ... und ich war froh, nicht allein zu sein. Ich blieb über Nacht und ging am nächsten Morgen zur Schule, besser als rumsitzen. Als ich nach Hause kam, war Bennis Vater da. Und er stank nach Bier »Ah, mein Herr Sohn kommt auch schon nach Hause. Bist du eigentlich völlig durchgedreht? Wir sitzen hier und machen uns Sorgen, wo du bist!«

Ich schrie ihn an »Sorgen? So, wie ihr euch um Benni Sorgen gemacht habt? Wie ihr ihn allein gelassen habt und wie er alleine krepiert ist und ihr wart nicht da? Und ich bin nicht dein Sohn und ...«

Weiter kam ich nicht.

Am Anfang wollte er mich, glaube ich, nur schlagen, aber diesmal schlug ich zurück, es tat so wahnsinnig gut und es fühlte sich so ... richtig an. Ich erinnere mich noch gut, wie er geguckt hat, als ihn meine Faust traf und ich schlug mit aller Kraft und mit aller Wut, die ich hatte. Nein, er verprügelte mich nicht, er schlug mich zusammen ... gründlich. Am Anfang wehrte ich mich, aber dann machte er meine Schulter kaputt und dann ging nichts mehr. Es tat entsetzlich weh und ich dachte, es wäre zu Ende und irgendwann muß ich wohl bewußtlos geworden sein. Die Nacht war schlimm, wirklich schlimm. Ich hatte dauernd Blut im Mund und mein Auge war zugeschwollen und mein linker Arm war irgendwie völlig nutzlos und er hatte mir so oft zwischen die Beine getreten und mein Kopf dröhnte, vor allem, wenn es mir hochkam. Zwischendurch träumte ich und dann war ich wieder wach, war wie 'ne Achterbahnfahrt. Dann sah ich Schröders Gesicht, ganz groß und nah und dann war da noch 'n Bulle und so'n Typ mit 'ner knallroten Jacke. Und dann war's zu Ende.

Es war warm. Und ich war müde.

Es war warm ... aber ich war nicht mehr so müde. Irgendwas hatte mich geweckt. Ich machte die Augen auf ... naja, ich machte das rechte Auge auf. Und glaubte es nicht.

»Mischela?«

Oops, sprechen war also auch schwierig ... fühlte sich alles so taub an. Aber das Gesicht gehörte eindeutig Michaela, ja, genau, die Nachtschwester, die so oft an Bennis Bett gesessen hatte.

»Hallo David! Na, wieder wach? Ich hätte ja nicht gedacht, daß wir uns so schnell wiedersehen. Wie fühlst du dich?«

»Ganz gut. Sprechen ist schwierig.«

Sie grinste »Versteh ich nicht, dir fehlen doch nur zwei Zähne und deine Lippen sind ziemlich im Eimer. Aber das kommt alles wieder in Ordnung, keine Sorge.«

»Wie ... hierhin ... gekommen?«

Sie grinste »Na, geflogen bist du nicht, na, ich weiß schon was du meinst, aber so genau weiß ich das auch nicht. Laß mal sehen ...«

Sie blätterte in einer Akte, wahrscheinlich meine »Also, ein Herr Schröder hat den Rettungswagen angerufen ... hey, wart mal, ist das nicht dieser große Typ mit den langen Haare, dieser Lehrer, der manchmal bei Benni war?«

»Nicht manchmal ... er war oft .... bei Benni.«

Michaela nickte »Jedenfalls hat der RTW dich hierhin gebracht und wir haben dich behandelt. Und jemand von der Polizei hat sich für morgen angemeldet. David, wer hat das getan?«

»Treppe?«

Na gut, ich konnt's ja mal versuchen.

»Muß ja eine wirklich fiese Treppe gewesen sein, die dich so verprügelt hat. Hör auf mit dem Blödsinn, wer war es?«

»Bennis Vater.«

»Hoffentlich taucht er hier auf. Dem Flachwichser würde ich zu gern einen Einlauf mit Toilettenreiniger machen, dann wär wenigsten etwas an dem Arschloch sauber.«

Also, ich geb's ja zu, ich grinste ... oder ich versuchte es jedenfalls »Trinken?«

»Nee, das lassen wir mal lieber. Falls du es noch nicht gemerkt hast, du hast eine Infusion im Arm, wir lassen dich schon nicht verdursten. Aber dein Mund dürfte noch ziemlich taub sein, du würdest dich nur verschlucken.«

»Toilette?«

»Groß oder klein?«

»Pinkeln.«

Ich wollte mich gerade aufrichten, aber Michaela hatte was dagegen »Nichts da, du bleibst liegen. Du hast die Luxus-Version gebucht, kompletter Service inklusive.«

War schon klar, die Flasche ... und ich hasse es, vor Leuten zu pinkeln. Sie legte das Ding zwischen meine Beine und steckte meinen Schwanz rein und deckte mich wieder zu - fühlte sich merkwürdig an »Soll ich rausgehen?«

»Bitte!«

Ich muß wohl eingeschlafen sein, als ich fertig war, jedenfalls war es hell, als ich aufwachte. Und schon wieder ein bekanntes Gesicht sah - Dr. Michelberg. Er setzte sich auf mein Bett und schaute mich scharf an »Hallo David. Wie fühlst du dich?«

»Beschissen!«

War auch so. Es gab an mir so ziemlich nichts, was nicht weh tat. Er nickte und checkte mich kurz durch »Okay, im großen und ganzen hast Du es ganz gut überstanden.«

»Toll!«

Er grinste »Hey, ich weiß, wie du dich fühlst, aber das vergeht wieder. Du hast keine wirklich schlimmen Verletzungen, aber das ist wohl eher Zufall. Dein ... hm, Stiefvater hätte dich genauso gut umbringen können - und genau das wird in meinem Bericht an die Staatsanwaltschaft stehen. Willst du hören, was du so alles hast?«

Konnt' ja nicht schaden, also nickte ich. Der Doc blätterte kurz in so 'ner Akte ... scheiße, wenn er sich nicht mal mehr merken konnte, was ich eigentlich hatte, dann sah's aber übel aus »Okay ... also: Gehirnerschütterung, aber das war ja klar, linke Schulter ausgekugelt, da wirst du noch ein paar Wochen Spaß mit haben, aber dann wird es verheilt sein, erschreck nicht, wenn du den Bluterguß siehst, der ist gewaltig!«

Ich versuchte dieses Krankenhausnachthemd aufzuknoten, aber das ist einarmig 'n bißchen schwierig »Warte, ich helf dir.«

Nett. Wirklich nett. Das Blau zog sich runter bis zur Brustwarze.

»Dann hätten wir da noch zwei fehlende Schneidezähne im Oberkiefer, ein Stück Schneidezahn im Unterkiefer fehlt auch ... also, da solltest du einen Kieferorthopäden aufsuchen, das muß gemacht werden .... dann fehlt dir ein Stück Ohr ...«

»WAS?«

Er grinste »Keine Panik, ist nur ein kleines Stück vom Ohrläppchen, ziemlich weit oben.«

Mir schwante was und ich griff an mein linkes Ohr ... ja, die Stelle war verbunden. Da saß früher ein Stecker ... mußte wohl passiert sein, als ich schon weg war.

»So, was haben wir denn noch so im Angebot ... deine Augen müßten eigentlich in ein paar Tagen wieder in Ordnung sein ... du hast da einen ziemlichen Riß an der Stirn, so zur Schläfe hin, das mußten wir nähen und das wird wohl eine Narbe geben, deine Lippen waren aufgeplatzt, aber das wird schon wieder .... rechte Augenbraue ebenfalls ... ja, und dann haben wir noch große Mengen an Prellungen und Blutergüssen, aber das tut nur weh.«

»Ach nee!«

»David, wenn du darauf bestehst, gebe ich dir jetzt ein Schmerzmittel, aber mir wäre es lieber, wenn du noch ein paar Minuten warten würdest. Gleich kommt jemand von der Kripo und du solltest einen klaren Kopf haben, wenn du mit ihm sprichst.«

»Okay. Schaff ich schon.«

Sie kamen zu zweit und wollten den 'Tathergang' hören. Ich kämpfte mich durch, so gut es ging und erzählte.

»David, wie oft bist du geschlagen worden?«

»Geschlagen?«

Sie schauten sich an. »Als du hier eingeliefert wurdest, bist du natürlich gründlich untersucht worden und da sind ein paar Narben aufgefallen ... Narben, die so aussehen, als wärst du mit irgendwas geschlagen worden.«

»Nicht irgendwas. Gürtel.«

»David, das ist jetzt sehr wichtig. Wer hat dich mit einem Gürtel geschlagen, wer hat diese Narben verursacht?

»Bennis Vater.«

»Danke! Dafür, das du es uns gesagt hast. Ich nehme an, er würde auch so ins Gefängnis kommen, aber jetzt hat er noch eine Anklage wegen Mißhandlung Schutzbefohlener am Hals und das wird ihn teuer zu stehen kommen. Okay, der Doktor hat uns gebeten, schnell zu machen, er will dir, glaube ich, was gegen die Schmerzen geben. Wir kommen nochmal wieder, wenn es dir besser geht, dann unterhalten wir uns mal richtig.«

Und weg waren sie. Sofort war der Doc da, die Spritze in der Hand »So, und jetzt wird's gleich besser!«
 

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4. Kapitel :


Wurde es - und wie. War aber auch nötig, denn dann kam eine Schwester mit einem großen Becken in der Hand - waschen. Sie war sehr vorsichtig und ich war ein bißchen beduselt, aber ich erschrak ziemlich, als ich mich sah. Himmel, ich sah nicht viele Stellen an mir, die nicht dieses nette, tiefe, dunkle Blau zeigten. Naja, ich hab sowieso ziemlich helle Haut, da sah es wohl noch schlimmer aus ... aber ich war froh, daß ich keinen Spiegel hatte.

Die Nacht war nicht so toll, aber am nächsten Tag ging's mir echt besser, ich kriegte was zu trinken und durfte aufs Klo, allerdings in Begleitung. Zum Glück 'n Zivi, ich bin zwar schwul, aber irgendwie wär mir 'ne Schwester doch ... unangenehm gewesen. Auf dem Rückweg kamen wir an einem Spiegel vorbei - heilige Scheiße, das meine Augen ziemlich was mitgekriegt hatten, wußte ich ja, aber das Pflaster auf meiner Stirn war ja riesig und das Pflaster an meinem Ohr machte mich wütend. Die Zähne ... fehlten einfach, fühlte sich nur merkwürdig an, tat aber nicht weh. Der Zivi grinste »Tja, also sonderlich schön bist du im Moment nicht, aber das wird schon wieder. Los, komm, ab ins Bett!«

»Hah! Erst sagst du, daß ich häßlich bin und jetzt willst du mich ins Bett kriegen! Sag mal, wann gibt's denn was zu Essen?«

»Ich glaub, das Schnitzel lassen wir mal, aber ich red mal mit dem Doc, vielleicht ein bißchen Suppe.«

Na toll, er kam wirklich mit Suppe rüber »Sag mal, hast du nichts vernünftiges?«

»Hör auf zu maulen, ich hab das Zeug extra für dich gemacht!«

»Gemacht? Du meinst warmgemacht!«

Er grinste mich an »Nörgelt hier an meinem Essen herum, unglaublich! Sieh bloß zu, daß du schnell gesund wirst und nach Hause kommst!«

»Muß ich ja wohl, wenn ihr mich hier verhungern laßt!«

»Aha, unser junger Patient meutert schon, muß dir wohl besser gehen!«

Der Oberdoktor, nicht mein Doc. Der stand mit 'nem Haufen anderer Leute daneben, aber das kannte ich - Visite. Bei Benni mußte ich immer raus, jetzt konnte ich das mal live erleben. Nicht, das ich da heiß drauf gewesen wäre.

»Viel besser, danke. Aber ich hab Hunger!«

Er lächelte »Ein gutes Zeichen. Vielleicht kannst du ja heute Abend ein bißchen Haferschleim bekommen.«

»Ha … Hafer ... schleim?«

Also, da hatte er mich wirklich links erwischt. War aber wohl Absicht, denn er grinste und meinte »Aber falls du kooperativ bist und uns deinen Oberkörper zeigst, damit die angehenden Kollegen hier etwas lernen, könnte ich versuchen, für dich ein gutes Wort beim Kollegen Michelberg einzulegen.«

Blanke Erpressung, aber wir kannten uns und natürlich spielte ich mit »Was tut man nicht alles für ein bißchen Essen ...«

Er zeigte hierhin und dahin und brabbelte 'n Haufen unverständliches Zeug und dann war's überstanden und ich hatte meine Ruhe. Für ein paar Minuten. Dann kam Schröder. »Hi, Blondie, du siehst beschissen aus.«

»Danke. Ohne sie säh' ich aber wohl noch beschissener aus, oder?«

Er grinste »Zufall. Als du nicht in der Schule warst, wollte ich dich eigentlich anscheißen kommen.«

Also, das mochte ich an Schröder. Er würde nicht mal mit 'ner Knarre am Schädel zugeben, daß er sich Sorgen gemacht hatte.

»Und nach dem Anschiß haben sie den Krankenwagen gerufen?«

»So ungefähr.«

Er ist echt cool, aber man kann's auch übertreiben. Dauerte was, bis ich die ganze Geschichte aus ihm 'rausgeholt hatte. Er war zu mir nach Hause gekommen, weil er sich Sorgen gemacht hatte - nicht, daß er das gesagt hätte - und als meine Mutter ihn nicht reinlassen wollte, da ist er dann mißtrauisch geworden und hat so getan, als gäb's die Tür nicht. Er hat dann zuerst mal gecheckt, ob es sich noch lohnt, 'n Krankenwagen zu rufen » ... naja, ich hab mir gedacht, wenn ich dich da krepieren lasse, dann krieg ich einen Haufen Ärger ... du bist zwar ein mieser Schüler, aber ich hab trotzdem 'n Arzt gerufen.«

Er kann das Arschloch echt toll spielen »Und Sie sind nur deshalb hier, weil Sie wissen wollten, ob sich der ganze Aufwand gelohnt hat?«

»Nee, ich wollte die Leute hier nur fragen, ob sie Hilfe brauchen, ich kann ganz gut mit Nadel und Faden umgehen und vielleicht gibt's an dir ja noch was zu tun.«

»Keine Chance! Die haben mich hier schon zusammengeflickt.«

Er seufzte »Ja, ich seh schon, die verwöhnen dich hier!«

»Herr Schröder?«

»Mmhh.«

»Danke!«

Er wurde wirklich ein bißchen rot »Äh, ja, ich glaube, ich geh dann mal.«

War ja klar, so ist er eben.

Zum Abendessen gab's wirklich was vernünftiges und da merkte ich dann auch, daß mir Zähne fehlten ... und wie das, ist, mit einem Arm zu essen, aber es funktionierte.

Nächsten Tag kamen die Bullen wieder und ich mußte alles nochmal erzählen ... und nochmal und dann kam noch 'ne Alte vom Jugendamt und wollt mir einen erzählen ... naja, war nicht so toll, aber solange mir die Typen den Vater von Benni vom Hals hielten, war's okay.

Und noch 'n Tag später kam der Doc dann wieder und er grinste »Warum bist du denn noch hier?«

»Weil irgendein Weißkittel gesagt hat, ich müßt noch hierbleiben.«

»War ich das zufällig?«

»Glaub schon.«

»Na, dann laß mal sehen ...«

Ich werd nie verstehen, warum die die ganzen teuren Geräte brauchen, wenn sie doch nur tasten und hören und gucken, aber was solls »Hm, sieht doch ganz gut aus. Wenn du willst, kann ich noch zwei oder drei Tage rausschlagen, aber eigentlich kannst du nach Hause.«

Mein Jubel hielt sich in Grenzen, aber klar mußte ich wieder nach Hause ... wenn ich so etwas noch hatte. »Ist morgen früh okay?«

»Klar. Ich mach die Papiere schon mal fertig, dann kannst du morgen weg, wann du willst.«

Und so war's dann auch. Naja, nicht ganz, erstmal kriegte ich noch Klamotten, das meiste von meinem Kram war nicht mehr zu gebrauchen, dann sollte ich unbedingt bei meinem Hausarzt vorbeischauen - als wenn ich sowas gehabt hätte - aber dann ging's ab. Die Leute auf der Straße kuckten zwar ein bißchen blöd, wenn sie mich sahen, aber was soll's.. Eigentlich wußte ich gar nicht so genau, wo ich hin wollte, ich lief einfach und stand dann vor der Schule. War zwar noch 'n bißchen früh, aber ich ging mal gucken, vielleicht war der Raum mit den Rechnern ja schon offen ... war er, Schröder hackte auf dem Keyboard und guckte nur kurz hoch »Hi Blondie, wieder da?«

»Ja. Was dagegen, wenn ich schon mal anfange?«

»Mach ruhig.«

Ich fuhr den Rechner hoch und loggte mich ein ... und las die letzte Mail, die ich Simon geschrieben hatte ... und nie abgeschickt hatte, war ja auch nicht fertig geworden. Ich wußte nicht, ob Simon überhaupt noch mit mir rechnete, aber ... ach, scheiße, irgendwem mußte ich einfach erzählen, was alles so gelaufen war. Also schrieb ich. Mit einer Hand. Die ganze Geschichte. Auch, wenn's weh tat ... ich schrieb sogar, was Benni als letztes gesagt hatte.

»David, mußt du immer noch um sechs zu Hause sein?«

»Was?«

»Hey! Du heulst hier den halben Nachmittag die Tatstatur voll, schreibst wie ein Blöder und wenn ich dir 'ne sinnvolle Frage stelle, kriege ich nur ein 'Was'? Also, es ist halb sechs, mußt du nach Hause?«

»Keine Ahnung. Aber ich bin sowieso gleich fertig.«

War ich auch. So, noch abschicken ... runterfahren und ab nach Hause, mal sehen, ob wer da war. Ja, meine Mutter ... und das wurde ziemlich mies. Sie war überhaupt nicht davon begeistert, daß ich wieder da war und regte sich mächtig auf. Plötzlich hatte ich mir die Narben auf dem Rücken beim Spielen geholt, Bennis Vater hatte mich nie geschlagen und ich war mit einem Messer auf ihn losgegangen und deshalb hatte er mich verprügelt. Scheiße, ist echt toll, wenn ein fremder Typ deiner Mutter wichtiger ist, als du. War schon klar, er brachte 'n bißchen Kohle und ich nicht, aber mußte sie deswegen gleich so 'ne Scheiße erzählen? Vielleicht würd' mir der Richter glauben, die Bullen im Krankenhaus meinten, daß ich Bennis Vater für ein paar Jahre los wäre ... und das würd' mir ja reichen. Ich krallte mir 'ne Scheibe Brot, Hunger hatte ich sowieso nicht, und ging in mein Zimmer. Oh, ja, Klasse! Niemand hatte mein Bett abgezogen oder das Bettzeug gewaschen, keiner hatte den Boden aufgewischt ... super, roch großartig. Also übte ich einarmiges Putzen, das Bettzeug konnt' ich wegschmeißen. Dauerte was, aber nach 'ner Stunde oder so war das Zimmer fertig und ich war's auch. Ich wollt mich gerade hinlegen, als ich Bennis kleinen braunen Teddy auf seinem Kopfkissen sah ... und das leere Bett. Keine Ahnung, warum, jedenfalls nahm ich den Teddy und legte mich in Bennis Bett und das tat viel mehr weh, als meine Schulter.

Schule war irgendwie merkwürdig, die Leute guckten mich blöd an, die Lehrer wußten auch nicht so genau, was sie sagen sollten. Kai sorgte dafür, daß die anderen mich in Ruhe ließen und wenn nicht, wär's mir auch egal gewesen, war sowieso vorletzter Schultag. Ich war froh, als ich nach Hause konnte. Kochen war schwierig, war sowieso nicht viel da und ich trabte wieder zurück zur Schule, vielleicht hatte Simon ja schon was geschrieben ... aber eigentlich ging ich hin, weil ich nicht wußte, wo ich sonst hin sollte. Ich hängte mich also wieder in diesen Zwergenstuhl und loggte mich ein ... Wunder über Wunder, da war wirklich 'ne Mail von Simon ... und sogar in vernünftigem Englisch:

»Hi David, wow, ich hatte schon gedacht, du wolltest mir nicht mehr schreiben, aber das ist natürlich was anderes. David, es tut mir so leid, du hast manchmal von Benni geschrieben und danke, daß du mir gesagt hast, daß er von mir gesprochen hat, bevor er starb, ich werd ganz fest an ihn denken, wenn ich die nächste Flugstunde habe. David, ich hab eben was gemacht und ich weiß nicht, ob du damit einverstanden bist, aber ich hab's trotzdem gemacht. Ich bin so sauer, weil dir das mit Bennis Vater passiert ist und ich hab 'ne Mail an Colin geschickt und ihm erzählt, was bei dir los ist. Hey, keine Panik, Colin ist okay und vielleicht hat er eine Idee, was du tun kannst. Gut, daß du wieder aus der Klinik raus bist und ich bin wirklich froh, das Bennis Vater im Gefängnis ist. Vielleicht kommst du ja mit deiner Mutter jetzt irgendwie besser klar, also ich an eurer Stelle würde umziehen und woanders neu anfangen. Hey, warum kommt ihr nicht zu uns, nach Amerika? Das wäre doch der Spaß! Ja, ich weiß, das wird wohl nichts, aber es wäre doch schön. Wie geht's denn jetzt weiter mit dir? Mußt du zu der Gerichtsverhandlung? Wie hältst du das eigentlich aus, das mit deiner Schulter hört sich ja schlimm an, kannst du denn überhaupt schlafen ...«

Und dann kamen noch ein paar persönliche Sachen. Mann, tat das gut, endlich mal wer, dem ich nicht egal war. Ich weiß nicht so genau, warum ich mich ausgerechnet über die Mail so freute, aber irgendwie dacht' ich mir, daß es jetzt besser werden würde. Irgendwie. Wenn Bennis Vater weg war, dann könnte ich wirklich einen neuen Start versuchen, zusammen mit meiner Mutter, sie würde bestimmt mitmachen, wenn er erstmal im Knast wär'. Ich war echt gut drauf und ging nach Hause ... ich dacht mir, ich könnte vielleicht ein bißchen was fürs Abendessen machen, Mama würde sich bestimmt freuen, wenn sie wiederkam. Ich schaffte nicht so ganz viel, aber immerhin hatten wir Kerzen auf dem Tisch, als Mama wiederkam. Sie hängte ihren Mantel auf und ich lächelte sie an. Sie schaute auf den Tisch:

»So, wegen dir habe ich den halben Nachmittag bei den Bullen gesessen, aber dafür hat sichs wenigstens gelohnt. Dein Vater kommt morgen aus dem Knast, wenigstens bis zur Verhandlung. Und dann wollen wir mal sehen, was passiert, wenn das Wort von zwei Erwachsenen gegen deins steht!«

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5. Kapitel :


Ich glaub', ich weinte, aber so genau weiß ich das nicht mehr, in meinem Kopf drehte sich sowieso alles. Bennis Vater würde kommen ... morgen schon. Ich ging in mein Zimmer und tat gar nichts, ich stand einfach nur da, scheiße, ich wußt' doch auch nicht, was ich machen sollte. Die Bullen hatten gesagt, ich wär' Bennis Vater los und jetzt das. Scheiß Bullen, die linken dich auch nur. Okay, David, jetzt nicht durchdrehen! Keine Panik! Der Arsch konnte nicht vor morgen früh hier sein, also hast du noch ein paar Stunden. Denk nach!

Ich setzte mich hin ... also, Bennis Vater wollte ich nicht erleben, das war klar. Er würde aber kommen und er hatte im Knast ein paar Tage Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was er am liebsten mit mir machen wollte ... und was dabei rausgekommen war, wollt' ich nun wirklich nicht wissen.

Also, wie ich das sah, hatte ich zwei Möglichkeiten: Ich konnt' mich von dem Arsch quälen lassen und hoffen, daß ich da lebend rauskam oder ich konnt' versuchen, schneller zu sein und ihn zu erwischen ... und dafür 'n paar Jahre in den Bau gehen. Toll. Wie konnte das nur so verdammt schief gehen ... eben noch wollte ich mit meiner Mutter neu anfangen und jetzt überlegte ich, wie ich Bennis Vater umbringen konnte. Oh, Mann, Erwachsene sind echt das Letzte! Erstmal eine drehen.

Eigentlich rauchte ich ja nicht im Zimmer, wegen Benni, aber ... irgendwie hoffte ich, daß Simon in der nächsten Flugstunde wirklich an Benni denken würde, es wär' für ihn das Größte gewesen. Aber vielleicht konnte Benni jetzt ja selber fliegen, was weiß ich denn. Stimmt, das wär' die dritte Möglichkeit, einfach aus dem Fenster springen ... und nach ein paar Sekunden wär' alles zu Ende. Ich stand auf und schaute aus meinem Fenster ... ziemlich tief ... aber eigentlich 'ne ganz gute Idee, vielleicht wär' ich dann wieder bei Benni und vermissen würde mich sowieso keiner. Moment mal, keiner würd' mich vermissen, richtig? Richtig. Also, warum aus dem Fenster springen, wenn ich auch die Tür nehmen konnte - schlimmer konnt's nicht mehr werden, nur noch besser und vielleicht gab's ja irgendwo auf diesem beschissenen Planeten 'n Fleckchen, wo ich leben konnte. Wär 'n Versuch wert und wenn's zu hart würde, könnt' ich immer noch ausprobieren, ob ich nicht doch fliegen konnte.

War schon komisch, als ich klarkriegte, wie's weiterging, wurde ich ganz ruhig. Ich räumte meinen Rucksack leer, meine Schulsachen waren nun wirklich überflüssig, und packte ein paar Klamotten zusammen, zum Glück war's ja nicht kalt. Ganz zum Schluß legte ich Bennis Teddy und sein Foto in den Rucksack, das hätte ich nie dagelassen. Ich stand schon an der Tür, als mir noch 'ne Kleinigkeit einfiel: Wohin sollte ich denn eigentlich gehen? Wär' ja vielleicht nicht schlecht, erstmal nachzudenken und dann loszuziehen. Also gut ... in der Stadt bleiben konnte ich nicht, da würden sie mich finden, also mußte ich weiter weg. Den Daumen hochhalten ging nicht, weil jeder sofort gefragt hätte, was ich Donnerstags vormittag in der Schulzeit auf der Autobahn mache ... also Eisenbahn, aber das war teuer. Okay, ich konnte mich aber schlecht die halbe Nacht am Bahnhof rumtreiben ... mußte ich aber auch nicht, es reichte ja, wenn ich morgen früh loszog ... gut, alles klar, erstmal schlafen, morgen früh unauffällig schauen, was meine Mutter noch so an Geld hatte und dann konnt' ich los. Ich hatte zwar immer noch keinen blassen Schimmer, wo ich eigentlich hin wollte, aber da würd' sich schon was finden.

Das Frühstück war 'ne verdammt schnelle Angelegenheit, ich hatte einfach Panik, das Bennis Vater vielleicht doch ganz früh kommen würde, dann fand ich noch dreißig Mark bei meiner Mutter und dann ging's los. Zu Fuß natürlich und der Rucksack rutschte mir dauernd von der Schulter, die linke konnte ich ja schlecht nehmen, vielleicht hätte ich doch mal zum Arzt gehen sollen, die blöde Schulter fühlte sich überhaupt nicht besser an. Jedenfalls stand ich dann vor dem Fahrplan und überlegte ... Dortmund? Nee, zu nah, ich mußte schon aus dem Ruhrgebiet raus ... Köln ... kannte ich nur von diesen bescheuerten Karnevalssendungen, eher nicht ... Münster .... warum eigentlich nicht ... und da war auch irgendwas, verdammt, da war ich doch mal hingesurft, was war denn da noch ... egal, ich ging mir 'ne Fahrkarte kaufen ... die waren ja wohl bescheuert, 20,20€ für 'ne Fahrt, naja, was sollte ich machen. Okay, 8:34 Uhr ging's los und es war echt ’n scheiß Gefühl, als der Zug losfuhr. Ich hielt mich an meinem Rucksack fest und schaute aus dem Fenster.

»Fahrschein bitte!«

Ich zuckte zusammen - 'ne Schaffnerin

»Du liebe Güte! Was hast du denn gemacht?«

»Äh ... wieso?«

»Na, so wie du aussiehst hast du einen Zusammenstoß mit einem LKW gehabt!«

Ist doch nett, wenn einem die Leute die Ausreden gleich mitliefern.

»Nein, das war nur ein Auto. Aber deshalb muß ich jetzt nach Münster, da gibt's einen Spezialisten wegen meiner Zähne.«

»Ah so, stimmt, da ist eine Uni-Klinik und du lispelst ganz schön. Aber die können ja heute schon so viel machen. Na denn, gute Fahrt!«

Sie stempelte meinen Fahrschein und dann war sie weg ... muß 'n ziemlich blöder Job sein, den ganzen Tag durch Züge zu laufen und Fahrkarten zu stempeln. Egal, jedenfalls hatte ich jetzt eine Story, die ich erzählen konnte, wenn jemand fragte. Es fragte natürlich keiner mehr, war ja klar.

Um 9:28 Uhr sollte der Zug da sein und er war es auch, pünktlich auf die Minute ... tja, und dann stand ich allein auf dem Hauptbahnhof von Münster. Ja, schon klar, es war verrückt, aber ... ich fühlte mich gut, so richtig gut ... so schön hatte die Sonne seit Jahren nicht mehr geschienen und ich wußte ganz genau, daß mich nichts aufhalten konnte, endlich frei! Ich hätt' ja versucht, zu pfeifen, aber ohne die Zähne war das schwierig und dieses blöde Lispeln ging mir selbst schon ziemlich auf die Nerven. Egal, wie's aussah, konnte ich mir erstmal die Stadt anschauen und da ...

»Na, solltest du nicht in der Schule sein?«

Oh, oh, Uniform, Bahnpolizei

»Ja, da wäre ich auch lieber, aber ...«

Was hatte die Schaffnerin noch gesagt?

»... ich ... ich bin auf dem Weg zur Uni-Klinik wegen meiner Zähne.«

Ich lächelte versuchsweise ... nur damit er die Zähne sah.

»Oh Mann, dich hat's aber gut erwischt! Wer hat dich denn verprügelt?«

»Das war ein Auto. Ist aber schon wieder besser, nur mit den Zähnen muß noch was passieren und deshalb bin ich hier.«

»Da beneide ich dich nicht. Geh einfach gerade durch, dann kommst du zur Bushaltestelle, Linie 26!«

»Danke!«

Schien ja wirklich auch nette Bullen zu geben, aber das hatte ich schon mal gedacht. Natürlich ging ich in Richtung dieser Bushaltestelle und verschwand dann ganz schnell, nur weg vom Bahnhof.

Ist ja ganz schön, sich 'ne Stadt anzuschauen und da gab es wirklich Läden, die so freundlich waren, ihr Obst an die Straße zu stellen und damit war die Frage nach Essen auch geklärt, aber irgendwann taten mir die Füße weh und ich suchte mir eine Bank. Und dann sah ich es ... einen Aufkleber mit 'nem Regenbogen. Und dann wußte ich wieder, woher ich Münster kannte: Hier gab's eine Gruppe! Eine schwule Jugendgruppe ... also, es ist so, wir kommen ja mit den Rechnern in der Schule nicht überall hin, aber ich hatte mir mal angeschaut, was es so an schwulen Gruppen gab und da war auch Münster mit dabei. Hm, ich wußte sowieso nicht, wo ich hin sollte, hier kannte mich keiner, da konnte ich mir diese Gruppe ja mal anschauen. Naja, gut, ich bin blond, aber nicht von gestern ... vielleicht konnt' ich bei den Leuten was zu Essen abstauben oder so, ich mußte sie nur noch finden. Fragen konnte ich schlecht, ich brauchte das Internet ... also ein Internetcafe und danach konnte ich fragen. Tat ich auch und ein paar Straßen weiter war wirklich eins ... nicht, das ich gewußt hätte, wie sowas läuft und ich hatte eigentlich nicht vor, für ein paar Minuten Internet richtig zu bezahlen. Naja, mal sehen, ich ging rein, war nicht viel los und dann hörte ich von hinten eine Stimme.

»Hi, was trinkst du?«

Na, 'ne Einladung war das wohl nicht, ich drehte mich um.

»Bist du vor'n Laster gelaufen?«

Fiel den Leuten denn nichts neues ein?

»Nee, das war ein Auto und ich komme gerade von der Uniklinik, denn die Zähne müssen gemacht werden.«

Der Typ grinste.

»Ja, das glaube ich, du lispelst fürchterlich!«

»Ach, wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.«

Baahh, das war wirklich nervig.

»Sorry, tut mir leid ...«

Ich winkte ab.

» ... und jetzt willst du noch ein bißchen ins Netz?«

»Ungefähr zwei Minuten. Ich brauch 'ne Adresse, aber ich hab nicht so rasend viel Kohle.«

Er schaute mich an, keine Ahnung was er dachte, aber ich hatte das Gefühl, das er mir die Story nicht so ganz abkaufte

»Setz dich an einen Rechner und mach schnell, wenn mein Chef kommt, dann muß ich dir was berechnen, okay?«

»Danke, ich beeil' mich!«

Tat ich auch, kurz in einen Katalog ... ja, da war es ja schon, Youngs hieß der Verein und die hatten wirklich 'nen Stadtplan auf ihrer Homepage, endlich mal Leute, die mitdachten. Moment, da war ich ja fast dran vorbei gelaufen, ziemlich dicht am Bahnhof, wie hieß das ... Achtermannstraße und die trafen sich ... Donnerstags, soll nochmal wer sagen, ich hätte kein Glück, damit war der Abend gerettet ... jetzt mußte ich mir nur noch den Stadtplan merken ...

»Hier, ist besser, wenn du dir die Adresse aufschreibst!«

Der Typ von eben und er hielt mir ’n Kuli und ’n Zettel hin - und ich saß vor 'ner schwulen Homepage und wurde langsam rot.

»Ich ... äh ... ich ...«

Er fing an, zu lachen.

»Hey, easy, das ist völlig normal. Sag mal ...«

Er zog sich einen Stuhl ran.

»... du bist nicht von hier oder?«

Wofür hat man seine Story.

»Nein, ich bin nur wegen der Klinik hier und ...«

Er unterbrach mich und seufzte.

»... und wegen dem Auto, schon klar. Vergiß die Story, kein Auto macht solche Verletzungen...«

Ich wollte ihn unterbrechen, aber er redete einfach weiter.

» ... ich hab meinen Zivildienst auf 'nem Rettungswagen gemacht, also erzähl mir hier keinen Quatsch. Ich denke, jemand hat dich verprügelt und du bist abgehauen, aber es ist deine Sache, was du erzählen willst. Mein Chef fährt um sieben immer nach Hause, wenn du dann kommst, kann ich dir ein bißchen was zu essen geben - wenn du willst.«

Er stand einfach auf und ging. Also, ich war platt. Wenn jeder so leicht in mich reingucken konnte, dann hatte ich echt ein Problem, da mußte ich mir was einfallen lassen. Trotzdem, erstmal die Adresse aufschreiben und dann ging ich raus ... und drehte gleich wieder um und ging nochmal rein, ja, da stand der Typ ja.

»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«

»Tom. Und du?«

Ich schaute ihn an, ich mein, okay, Erwachsenen kannst du nicht trauen, aber so richtig erwachsen war er ja noch nicht ... trotzdem ... er war zu alt, um ihm die Wahrheit zu sagen.

»Benni. Ich wollt' nur Danke sagen.«

Er nickte.

»Du kommst heute abend wegen dem Essen, oder? Ich werd' was organisieren.«

»Ich komme, danke.«

Also, das fing doch gar nicht so schlecht an. Ein Abendessen hatte ich schon und damit mußte ich ja eigentlich nicht mehr zu diesen Youngs ... aber vielleicht konnte ich da über Nacht bleiben, die würden ja wohl 'ne Couch rumstehen haben. Und irgendwie war ich auch neugierig, ich mein, okay, ich wußte, daß ich schwul war, aber so richtig darüber nachgedacht hatte ich noch nicht ... das war einfach nicht so wichtig gewesen.

Ich lief noch so 'n bißchen durch die Stadt, vormittags war ich mit 'n paar Schulklassen rumgelaufen, ich wollt' ja nicht auffallen, aber jetzt liefen genug andere Jungs rum. Es war nur stinklangweilig, den Buchladen kannte ich inzwischen, aber dafür sah ich, wie wer 'ne Zeitung in den Papierkorb stecken wollte - und die holte ich mir. So gegen kurz nach sieben ging ich wieder in's Cafe, der Laden schien nicht so toll zu laufen, Tom war allein.

»Hi, Tom. Steht das Angebot noch?«

»Klar. Tiefkühlpizza, Baguette oder Brötchen, such dir was aus.«

»Pizza wäre toll!«

»Schon in Arbeit.«

Naja, was heißt Arbeit, auspacken, in die Mikrowelle und warten. Tom räumte noch irgendwas durch die Gegend und dann machte es 'Ping' und ich kriegte mein Essen ... und ich hatte Gesellschaft, aber das war klar, Tom guckte etwas verwundert, als ich anfing, die Pizza nur mit der Gabel zu essen ... das Ding war steinhart und meine Linke war noch nicht so weit.

»Benni, weißt du denn schon, wie es weitergehen soll?«

»Wie meinst du das?«

»Naja, du mußt ja irgendwo übernachten.«

»Das wird schon irgendwie. Ich geh erstmal zu diesen Youngs, mal schauen, vielleicht haben die da ja eine Couch rumstehen.«

Tom fing an zu lachen.

»Das ist eine Kneipe, da wirst du wohl nicht übernachten können. Aber vielleicht gibt's da jemanden, bei dem du schlafen kannst, frag einfach mal.«

Tom schaute mir beim Essen zu und sagte dann ganz leise.

»Benni ... wer hat das getan?«

»Was getan?«

»Dich so zugerichtet.«

Hm, er konnte natürlich fragen, aber was ich sagte, war meine Sache.

»Da will ich nicht drüber reden.«

Er lächelte traurig.

»Das dachte ich mir. Trotzdem, wenn du länger hierbleibst, dann kannst du ab und zu mal reinschauen, wenn ich hier bin, dann kannst du was zu Essen kriegen, okay?«

»Danke! Tom?«

»Ja?«

»Ich will das hier nicht ausnutzen oder so, aber ... ich würd' gern eine Mail schreiben. Da gibt es jemanden, der sich Sorgen macht, wie es mir geht ... und ich ...«

»Klar, schreib ruhig. Ich denke nicht, daß der Chef heute noch wiederkommt und wenn doch, kriegen wir das schon hin.«

Klingt wahrscheinlich blöd, aber Simon war der Einzige, dem ich noch vertrauen konnte, und wo ich überall fremd war, wollte ich ihm schreiben, wo ich war und das es mich noch gab und was alles passiert war. Es dauerte zwar etwas, aber dann war die Mail fertig und ich schickte sie ab. Das Cafe war inzwischen auch voller geworden und ich ging noch eben zu Tom, um mich zu bedanken ... nicht nur für das Essen, hm, das ist schwer zu erklären, ich wär' wirklich nie auf die Idee gekommen, das ausgerechnet mir jemand was zu Essen gibt. Tom erklärte mir noch den Weg zu dieser Cuba-Kneipe und dann ging's los.


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6. Kapitel :


Der Laden war wirklich einfach zu finden, sah ein bißchen größer aus ... ich ging drei Stufen hoch und stand in einer echt großen Kneipe und schaute auf die Theke. Rechts Tische und viele große Fenster ... also, Tom hatte ja schon gesagt, daß das eine Kneipe war, aber ich wußte im ersten Moment wirklich nicht, ob ich hier richtig war. Eigentlich wollte ich ja schon wieder gehen, aber dann kam da so'n schlanker, braunhaariger Typ auf mich zu

»Hi! Willst du zu den Youngs?«

»Äh ... naja, ich wollt mal schauen ...«

»Keine Panik, du bist das erste Mal hier und da sind alle ein bißchen nervös. Komm, setz dich zu uns und dann erklär' ich dir, wie der Laden hier läuft.«

Er zeigte auf einen runden Tisch, ziemlich in der Mitte und da saßen schon ein paar Leute, die mich anschauten ... aber die waren alle ein gutes Stück älter als ich ... nee, kam nicht in Frage, daß ich mich da mit hinsetzte.

»Entschuldigung, ich dachte, hier wären auch so Leute in meinem Alter ... ich glaub' ich geh mal wieder. ...«

Der Typ lachte.

»Moment, jetzt warte doch mal. Hier sind natürlich auch junge Schwule, ich bin hier so 'ne Art Empfangskomitee und ich versuche, den Jungs, die neu sind, ein bißchen zu helfen. Wenn du willst, kannst du dich auch erstmal umsehen, geh einfach links an der Theke vorbei, dahinten findest du auch Jungs in deinem Alter.«

Okay, anschauen konnte ich mir das ja mal ... da war wirklich noch ein großer Raum, so mit vielen Tischen und Stühlen und da waren auch 'ne ganze Menge Leute, die ein bißchen jünger aussahen. Als ich da stand, guckten mich ziemlich viele Leute an und ich wußte auch nicht so genau, was ich machen sollte und da ging ich einfach wieder zurück an die Theke und fragte nach ’nem Kaffee.

»Klein oder groß?«

»Hm... was kostet der denn?«

»2,50€ oder 3,50€.«

»Dann einen kleinen Kaffee.«

Ich hatte noch ungefähr zehn Mark ... wegen der Kohle mußte ich mir irgendwas einfallen lassen, sonst konnt' ich mich gleich das Klo runterspülen. Neben mir bestellte irgendwer auch 'nen Kaffee und als er bezahlte, rutschte ihm 'n Hunderter so halb aus der Hosentasche ... jetzt oder nie, ich griff zu und ging los.

Mist, ich stand noch in der Kneipe, als der Typ merkte, daß seine Kohle weg war und anfing, zu rufen - Zeit, sich zu beeilen. Ich düste los und kam auch gut durch die Tür und die Stufen runter und ich wollt grade nach links rennen, als ich bunte Ringe sah und in die Knie ging. Scheiße, mir liefen die Tränen aus den Augen und ich jaulte leise ... ich hab echt gedacht, da hätte mir wer den Arm ausgerissen und ich hörte die Stimmen nur ziemlich verschwommen.

» ... hättest ihn ja nicht gleich zusammenschlagen müssen!«

»Ich habe ihn nur festgehalten, keine Ahnung, was war denn eigentlich los?«

»Er hat mir mein Geld geklaut.«

»Klasse. Aber ich hab ihn ja.«

»Ja, aber jetzt laß ihn endlich los!«

Gute Idee! Es tut ja normal schon weh, wenn man wem den Arm nach hinten hochhält, aber das war mein linker Arm ... und als er ihn losließ, rammte ich mir vor Schmerz den Kopf auf den Bürgersteig, scheiße, da kniete ich in einer fremden Stadt vor zwei Fremden, hatte einen Diebstahl am Hals und meine Schulter brannte so schlimm, das ich nicht mehr klar denken konnte. Dann legte irgend jemand seinen Arm um mich und zog mich hoch, ich hatte Schlieren vor den Augen, aber er sah aus, wie der Typ, der mich ganz am Anfang angesprochen hatte

»Was ist denn mit dir los? Ich hab dich doch nur festgehalten!«

Soweit kam das ja noch, das ich meine Story erzählte.

»Schulter ... Sportunfall.«

»Laß mal sehen ...«

Ich versuchte ja, mich zu wehren, aber er zog einfach mein T-Shirt hoch, verdammt, woher nahm er das Recht dazu?

»Heilige Scheiße! Was hast du denn gemacht? Na komm, das sehen wir uns mal bei Licht an ... Julian, hilf mir mal!«

Die Beiden halfen mir und brachten mich wieder in die Kneipe, vorne rechts gab's ein paar Tische, da saß keiner.

»So, dann wollen wir mal ...«

Er griff schon wieder nach meinem T-Shirt, aber diesmal war ich schneller.

»VERDAMMT NOCH MAL, LASS MICH IN RUHE! Ich komm schon klar! Wenn ihr die Bullen rufen wollt, dann bringen wir's hinter uns und dann ist Ende, aber hör endlich auf, an mir rumzufummeln!«

Der Typ war ein bißchen von der Rolle.

»Aber ... aber ich wollte doch nur ...«

»Du wolltest nur das, was alle Erwachsenen wollen! Also, was ist jetzt?«

Ich war so sauer, daß es mir wirklich egal war, wie's weiterging, es war sowieso alles schief gegangen. Ich knallte die Kohle von dem Jungen auf den Tisch und wartete ... und dann überraschte mich der Typ.

»Julian, kommst du mal?«

Die Beiden zogen ab, aber leider nur so weit, daß ich keine Chance hatte, die Biege zu machen. Sie redeten und dann ging dieser Julian weg und der ältere Typ kam wieder.

»Okay, du hast Julian beklaut, also ist es seine Entscheidung wie es weitergeht, er kommt gleich. Und ... tut mir leid ... das mit deinem Arm, das wollte ich nicht.«

Ich nickte nur, was sollte ich schon sagen. Dauerte nicht lange, dann kam Julian wieder ... mit zwei Kaffeetassen in der Hand, eine stellte er vor mich hin, na, das war doch gar keine schlechte Idee. Er schaute mich an.

»Also, das ich Julian heiße, weißt du inzwischen und Peter meinte, ich soll entscheiden, was wir jetzt machen ...«

Der ältere Typ hieß also Peter.

» ... und ich weiß es einfach nicht.«

»Und warum läßt du mich dann nicht einfach laufen?«

»Weil ich mit dir einen Kaffee trinken will.«

Also, das war so ungefähr das Blödeste, was ich jemals gehört hatte - aber wenn es mir die Bullen ersparte ...

»Okay, danke für den Kaffee.«

Ich nahm erstmal einen Schluck und holte meinen Tabak raus, da konnte ich mal unauffällig einen Blick auf Julian zu werfen ... er konnte nicht viel älter sein, als ich und er wirkte ... freundlich, ist schwer zu erklären, irgendwie war völlig klar, daß er mir nichts tun würde, seine braunen Augen schauten mich an, als wäre ich seit Jahren sein bester Freund ... ja, ich weiß, daß das bescheuert klingt, aber ich hab ja gesagt, es ist schwer zu erklären, ist ja auch egal, jedenfalls machte ich mir erstmal 'ne Kippe an.

»Sag mal, bist du eigentlich wirklich schwul? Und ... wie heißt du eigentlich?«

Tom hatte ich belogen und diesem Peter hätte ich auch nicht die Wahrheit gesagt ... aber das hier war anders.

»Ich heiß David und ... ja, ich glaub, ich bin schwul.«

Das hatte ich zwar noch niemandem gesagt, aber bei Julian ging das ganz einfach, naja, okay, ich wußte ja schon, daß er auch schwul war, sonst wär' er ja nicht hier. Julian nickte

»Das freut mich! Sorry, du siehst zwar ziemlich verboten aus, aber irgendwie glaub ich nicht, daß es dir Spaß macht, Leute zu beklauen.«

Ich grinste.

»Nee, Spaß macht mir das wirklich nicht!«

»Und warum machst du es dann?«

Tja, das war die Frage ... und was sollte ich antworten? Vielleicht war es, weil ich ihm was schuldete ... vielleicht auch, weil er freundlich war, aber ich glaub, ich sagte ihm die Wahrheit, weil ich ... weil ich ihn mochte.

»Julian, ich hab dich bestohlen, weil's nicht anders ging.«

»Was heißt das?«

»Ich ... ich bin abgehauen, von Zuhause, mein ich ... und ich ...«

Er legte seine Hand auf meine.

»Moment, mach mal langsam. Willst du mir nicht die ganze Geschichte erzählen?«

Vor 'ner Minute oder so hätte ich ihm höchstens die halbe Wahrheit erzählt, aber seine Hand fühlte sich gut an und ich war verdammt alleine.

»Okay ... also, das war so ...«

Ich erzählte und ich erzählte lange ... und manchmal konnte ich ihn nicht anschauen. Als ich fertig war, hielt er meine Hand immer noch und das war auch ganz gut so.

»Und, holst du jetzt die Bullen?«

Er guckte mich fast schon entsetzt an.

»Nein, natürlich nicht ... sag mal, was hast du denn noch so vor, ich meine, wo willst du hin?«

»Keine Ahnung. Eigentlich hatte ich gehofft, daß es hier irgendwo 'ne Couch gibt, auf der ich die Nacht pennen kann, aber das kann ich wohl vergessen.«

»Vielleicht nicht ... sag mal, kann ich dich ein paar Minuten allein lassen? Vielleicht kann ich was organisieren.«

»Klar ... natürlich.«

Er ging und ich ... sah ihm nach. Also, es war ja nicht so, als hätt' ich noch nie von 'nem Jungen geträumt, aber ... Julian hatte wirklich was ... David, hör auf zu träumen! Ich drehte mir noch eine und machte den Kaffee leer ... ich machte grade die Kippe aus, als Julian wiederkam.

»Also, wenn du willst, kannst du mit mir kommen, ich hab gerade mit meinen Eltern telefoniert, die sind einverstanden.«

»Äh ... Eltern?«

Julian lachte.

»Klar! Hey, ich bin 16, hast du gedacht, ich hätte 'ne eigene Wohnung?«

»Nee ... ach, ich weiß nicht, nur ... wenn ich 'Eltern' hör, dann ...«

Er wurde plötzlich ernst.

»David, nicht alle Eltern sind so wie deine! Meine Leute sind wirklich okay, klar, wir fetzen uns manchmal, aber wenn es drauf ankommt, dann halten wir zusammen. Hey, komm einfach mit, ich würd' mich freuen.«

Was blieb mir anderes übrig?

»Okay, und ... danke!«

Wir nahmen den Bus und so kurz nach elf waren wir bei Julian, er wohnte in einem Reihenhaus und das sah ziemlich klein aus, aber der Vorgarten gefiel mir ... okay, es war dunkel, aber was ich so sehen konnte, sah gut aus.

»Ich glaube nicht, das meine Eltern jetzt noch wach sind, wir gehen am besten einfach leise hoch, okay?«

Klar war das okay, wir schlichen also die Treppen hoch ... hm, Julians Zimmer sah irgendwie nach Katalog aus, nur das Sofa paßte nicht so ganz, ein paar Poster und Bilder und ...

»Wow! Du hast einen eigenen Rechner?«

Julian nickte.

»Ja, den gab's zu Weihnachten, weißt du ...«

Er sprach etwas leiser.

» ... wir haben das Haus hier vor drei Jahren gekauft und ... so viel Geld haben wir nicht.«

Und ich hatte ihn bestohlen ... mein Gott, war ich ein Arschloch.

»Du hast es hier sehr schön!«

Und das meinte ich verdammt ernst.

»Danke ... ah, Mama hat schon mitgedacht.«

Auf dem Sofa lag eine Decke und ein Kopfkissen und ein Badetuch.

»Deine Mutter hat das für mich hingelegt?«

Julian grinste mich an.

»Klar ist das für dich, für wen denn sonst?«

Das hatte ich nicht gemeint, aber das konnt' er wohl nicht verstehen, sowas hätte meine Mutter nie gemacht. Julian machte irgendwas mit dem Sofa und die Rückenlehne klappte runter.

»So, das müßte gehen. Ich hol noch eben 'ne Flasche Wasser, die brauch' ich nachts einfach. Ach so, wenn du mal mußt, die nächste Tür rechts.«

Er ging und ich auch ... also, er ging Wasser holen und ich aufs Klo, den Kaffee wegbringen, dann zog ich mich aus, hm, nackt schlafen konnte ich hier schlecht, ich würd' einfach die Unterhose anlassen und dann räumte ich ein paar Sachen aus dem Rucksack, ist nicht so toll, wenn die Klamotten tagelang vor sich hin gammeln.

»David, das ist meine Mu .... ach du Scheiße!«

In der Tür stand Julian und sein Mund blieb offen und da stand auch seine Mutter und die sah ziemlich erschrocken aus und ich kriegte das Ganze nicht so richtig gebacken ... was war denn los? Ich muß wohl ziemlich blöd geguckt haben, jedenfalls streckte mir dann Julians Mutter die Hand entgegen.

»Guten Abend, ich bin Frau Brenner. Tut mir leid, ich wußte nicht, daß du dich gerade umziehst, ich wollte dich nur begrüßen.«

Ich nahm ihre Hand.

»Guten Abend. Kein Problem ... ich wollt' mich auf jeden Fall bedanken, ich mein, daß ich hier schlafen kann.«

»So wie du aussiehst, brauchst du ein bißchen mehr, als ein Bett. Julian, spiel' hier nicht das Arbeiterdenkmal, hol den Verbandskasten!«

Er war schon weg, bevor ich was sagen konnte, aber ich tat's trotzdem.

»Danke, aber ich brauch' wirklich nichts, es geht schon besser und ...«

Sie hob die Hand.

»Stop. Du bist jetzt unser Gast, also bin ich dafür verantwortlich, daß es dir gut geht. Abgesehen davon bin ich ziemlich erschrocken, Julian sagte schon, daß du weggelaufen bist und wenn ich dich so anschaue, dann verstehe ich auch, warum. So etwas habe ich noch nie gesehen und will gar nicht darüber nachdenken, wie weh das tut, also laß mich dir helfen, in Ordnung?«

Ich nickte ... es war wirklich manchmal ein bißchen nervig, ich mein, die Schulter und so, und wenn sie da was dran ändern konnte, war's mir recht. Julian kam wieder und der Verbandskasten war ein kleiner Karton, in dem so alles mögliche lag. Frau Brenner kramte ein bißchen und gab Julian dann eine Tube.

»Hier, streich' die Salbe vorsichtig auf die Schulter und auf die größten blauen Flecken, ich kümmere mich mal um die Stirn.«

Julian begann, mich mit der Salbe einzureiben und er war wirklich vorsichtig und Frau Brenner zog das Pflaster runter.

»Hat der Arzt was gesagt, wann die Nähte gezogen werden sollen?«

»Nein ... ich sollte eigentlich zum Hausarzt gehen, aber so etwas hab' ich nicht.«

»Also, drinlassen kannst Du sie nicht, mal sehen, was wir da machen. Die Wunde ist sauber, ich mach nur ein neues Pflaster drauf und du mußt sie abdecken, wenn du duschen ...«

Dann hörte ich, wie Julian leise durch die Zähne pfiff.

»Mama, schaust du mal ...«

Sie schaute auf meinen Rücken.

»David, die Narben sind schon älter, oder?«

»Ja, die meisten.«

Ich glaub', in dem Moment passierte irgendwas bei ihr, vielleicht kriegte sie mit, warum ich wirklich abhauen mußte, jedenfalls klang sie ziemlich entschlossen.

»David, du ruhst dich erstmal ein paar Tage bei uns aus. Alles andere findet sich schon. Warte noch etwas, bis die Salbe eingezogen ist und dann schlaf erstmal. Und, Julian, ich bin sehr stolz auf dich! Gute Nacht!«

Dann küßte sie Julian auf die Stirn und weg war sie. Ich dachte kurz an meine Mutter ... ich schluckte und schob den Gedanken ganz schnell ganz weit weg, muß schön sein, so wie Julian groß zu werden. Wir räumten noch schnell diesen Verbandskarton weg und dann ging's ab ins Bett ... Julian schaute mich zwar an, aber er sagte nicht mehr viel, hm, ich weiß auch nicht, vielleicht war er müde, ich war jedenfalls froh, als ich die Augen zumachen konnte ... aber vorher griff ich noch schnell in den Rucksack und nahm Bennis Teddy raus, ich wollte nicht alleine schlafen.

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7. Kapitel :


Als ich wach wurde, da schlief Julian noch ... ich griff mir ein paar Klamotten und ging ins Bad, Zähne putzen und so. Dann ging ich runter, war nicht schwer, die Küche zu finden und da war auch Frau Brenner.

»Guten Morgen, David! Du bist aber früh wach, was magst du zum Frühstück?«

Äh ... Moment mal, was ich zum Frühstück wollte? Keine Ahnung, das hatte ich mir immer selbst gemacht ...

»Guten Morgen ... ich weiß nicht, ein Kaffee wäre schön und vielleicht 'n Stück Brot?«

Sie lachte.

»Hey, du bist doch sowieso schon so mager, willst du denn nicht richtig frühstücken? Setz dich hin, ich mach eben was fertig.«

Also, an dem Morgen hab' ich gelernt, was Frühstück eigentlich ist. Brötchen, Wurst, Käse, Eier und Kaffee - lecker, und man braucht kein Mittagessen mehr. Zum Reden hatte ich nicht so viel Zeit, es war einfach viel zu lecker und Frau Brenner schien das zu verstehen, denn sie guckte nur zu, wie ich aß. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr und lehnte mich zurück.

»David, es macht Spaß, dir beim Essen zuzuschauen!«

»Danke ... es war einfach viel zu lecker. Ich hab hoffentlich nicht alles weggegessen, Julian kommt ja auch noch.«

»Da mach dir mal keine Sorgen, den kriege ich schon satt.«

Ich dachte kurz nach ... es war besser, zu wissen, was Sache war.

»Frau Brenner?«

»Ja?«

»Haben sie das ernst gemeint ... gestern abend? Ich mein, das ich 'n paar Tage hierbleiben kann?«

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter ... ganz vorsichtig.

»Ja. David, ruh dich hier aus, mach Ferien und überleg' dir, wie es weitergehen soll, in Ordnung?«

»Danke! Nur ... was sagen wir den Nachbarn? Da müssen wir uns was einfallen lassen, wahrscheinlich suchen die Bullen mich!«

»Wieso, hast du was angestellt?«

»Nee, aber meine Mutter wird den Bullen wohl gesagt haben, das ich weg bin. Und da werden die wohl nach mir suchen ... und so schwer bin ich nicht zu erkennen.«

Sie grinste.

»Stimmt, und wenn du dann noch den Mund aufmachst ...«

Sie schaute mich prüfend an.

»... aber wir können dich vielleicht ein bißchen verändern ... wir könnten deine Frisur ändern ... so das die Haare über dein verletztes Ohr fallen ... und wir könnten sie färben.«

»Äh, Moment mal! Sie wollen mir die Haare schneiden?«

»Ja. Und färben ... nicht für immer natürlich, aber für die erste Zeit. Nur, das müssen wir gleich machen, sonst ist es witzlos!«

Also, rasend begeistert war ich nicht und ich strich mir durch die Haare aber sie hatte schon recht, so erkannte mich jeder Blinde auf drei Kilometer gegen den Wind. Aber es hatte wirklich lange gedauert, bis meine Haare so lang waren, wie jetzt und es tat mir einfach weh, sie abzuschneiden.

»Wie kurz wollen sie sie denn schneiden?«

»Hm ... ich glaube, ein Mittelscheitel wäre ganz praktisch ... und dann die Haare etwas länger lassen, dann sieht man dein Ohr nicht und ein bißchen fallen die Haare dann sogar über deine Stirn.«

Ich wußte, was sie meinte, aber ich wußte nicht, ob es mir gefallen würde, trotzdem

»Also, wenn sie das machen würden, wäre das natürlich schön.«

»Kein Problem, das kriegen wir schon hin. Und keine Sorge, ich hab Julian auch immer die Haare geschnitten. Ich geh gleich einkaufen, dann bring ich auch was zum Färben mit. Ach so, bleib' bitte erstmal im Haus, bis wir dein neues Outfit hingekriegt haben.«

Da hatte sie recht, jedenfalls ging sie einkaufen und ich spülte eben das Frühstück weg, also, 'n bißchen komisch waren diese Leute ja schon, ich mein, wer stellt schon Blumen in die Küche oder guckt anderen beim Frühstücken zu ... ich war grade so halb mit der Zeitung durch, als ich hörte, das sich oben was rührte, war wohl Julian ... ich setzte mal so auf Verdacht 'n Kaffee an und dann kam er auch runter.

»Morgen, David!«

»Hi, Julian ...«

Ich grinste.

»... du siehst noch ein bißchen verschlafen aus!«

»Hey, war ja auch 'ne turbulente Nacht.«

»Wieso turbulente Nacht?«

Er guckte mich erstaunt an.

»Erinnerst du dich nicht?«

Also, das gefiel mir jetzt nicht.

»Nein, woran soll ich mich denn erinnern?«

Julian setzte sich und nahm Kaffee.

»Du hast ziemlich schlecht geträumt ... und um dich geschlagen und so und da hab ich dich dann geweckt.«

Ich fühlte, wie meine Ohren warm wurden.

»Das tut mir leid, das wollt' ich wirklich nicht. Wenn du willst ...«

Ich schluckte.

»... wenn du willst, dann kann ich auch woanders schlafen.«

»Spinnst du? Weil du schlecht geschlafen hast?«

»Nein, weil du wegen mir schlecht geschlafen hast.«

Das war mir wirklich peinlich, ich mein, er lud mich ein und dann versaute ich ihm die Nacht, nur weil ich schlecht geträumt hatte.

»Vergiß es, ist ja nun wirklich kein Wunder ... ich mein, bei dem, was du erlebt hast.«

»Hey, nu mach da mal keine Katastrophe draus, meine Familie ist eigentlich völlig normal, nur das Bennis Vater halt ausgerastet ist und wenn ich nicht zurückgeschlagen hätte, dann wär' gar nichts passiert.«

Julian kriegte große Augen.

»Moment mal ... du meinst, du bist Schuld? An dem, was passiert ist?«

»Naja, irgendwie schon. Hätte ich mich 'n bißchen besser im Griff gehabt, wär' ich jetzt immer noch zu Hause, oder?«

Er sagte erstmal gar nichts, sondern guckte mich nur an und seine Augen wurde immer trauriger, nur hatte ich keine Ahnung, warum eigentlich. Ich weiß auch nicht so genau, irgendwie tat er mir so leid, daß ich meinen Arm um ihn legte, um ihn zu trösten.

»Hey, ich hab zwar keine Ahnung, was los ist, aber wenn ich dir helfen kann,
dann sag's einfach!«

»'tschuldigung, aber da hast du was mißverstanden.«

Häh? Wer redete denn da? Ich guckte hoch und da stand dieser Typ in der Küchentür, dieser Peter von gestern abend. Was machte der denn hier? Er setzte sich einfach so an den Tisch und schaute mich an.

»Ich hab gerade Anne getroffen, also Julians Mutter, und sie sagte, daß du hier bist.«

Na, super! Kaum war ich da, erzählte sie schon aller Welt, was mit mir los war, oder wie?
Peter kriegte wohl mit, das ich 'n bißchen sauer wurde.

»Hey, wart mal. Ich gehör' hier praktisch zur Familie, wir wären uns sowieso über den Weg gelaufen. Ich hab euch schon im Flur gehört ...«

Er holte tief Luft.

»... laß uns auf die Terrasse gehen, da können wir besser reden.«

Taten wir und Julians Frühstück nahmen wir mit. Draußen stand ein Aschenbecher und Peter holte 'n Päckchen Kippen raus - Davidoff ... kannte ich nicht, ich blieb lieber bei meinem Tabak.

» David. Du. Bist. Nicht. Schuld!«

Äh ... was sollte das denn?

»Woher willst du das denn wissen, du kennst meine Leute doch gar nicht! Bist du so 'n scheiß Psychologe oder was?«

Peter lächelte ... ein bißchen traurig.

»Nein. Aber meinst du denn, du wärst der Erste, der zu Youngs kommt und Probleme hat? Nee, wirklich nicht! Ich hab schon oft versucht, Leuten zu helfen. David, magst du Hunde?«

»Klar! Bei uns sind keine Hunde erlaubt, aber ich würd' gern so 'n Irisch Setter haben, die sind echt toll!«

»Stimmt. So, jetzt stell dir mal vor, du würdest einen jungen Setter bekommen, noch ganz klein, wie würdest du ihn nennen?«

Na, das wußte ich genau, schließlich hatte ich oft genug davon geträumt.

»Brandy!«

Peter lächelte.

»Okay, also Brandy ist jetzt schon ein oder zwei Monate bei dir und als du mal von der Schule kommst, freut er sich so sehr, das er auf den Teppich pinkelt. Würdest du ihn deshalb verprügeln und treten?«

Was wollte er denn jetzt?

»Nein, natürlich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihn lieb hab!«

»Und warum haben deine Eltern das mit dir gemacht?«

»Weil ... weil ...«

Scheiße, tat das weh.

Dauerte was, bis ich wieder reden konnte. Und es war ziemlich gut, das Julian da war. Und Peter.

Zum Glück kam Julians Mutter erst später vom Einkaufen wieder und ich wieder so halbwegs auf den Beinen.

»So, David, kann's losgehen?«

»Ja, schon. Wie geht das denn mit dem färben?«

»Kein Problem, das mach ich schon ... aber es wäre gut, wenn du dir vorher noch die Haare waschen würdest, weißt du, nach jedem Waschen geht die Farbe ein bißchen mehr raus.«

»Dann kann ich auch gleich duschen gehen. Sorry, das wird ein bißchen dauern.«

»Kein Problem, sag einfach Bescheid, wenn du so weit bist. Ach so, warte, ich hol dir eben was, um die Pflaster abzudecken.«

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8. Kapitel :

Später saß ich mit 'nem Bettuch um den Hals in der Küche und Frau Brenner legte los ... und wie sie loslegte, es dauerte nicht lange und der Boden um mich rum war blond. Dann schmierte sie mir irgend so ein Zeug in die Haare, in die paar, die noch übrig waren und dann mußte ich warten ... und dann kam sie mit 'nem Spiegel

»Oh, scheiße!«

Also, ich wußte ja, daß ich das war, aber so auf den ersten Blick ... Mann, sah ich bescheuert aus! Dunkelbraun, Mittelscheitel, an Seiten ziemlich lang, aber hinten hatte sie nicht so rasend viel drangelassen ... war 'n bißchen kühl im Nacken. Und dann kam Julian. Und Peter. Und da war echt Ende, ich glaub' Julian fing als erster an zu kichern und dann kriegte Peter sich nicht mehr ein und dann lachten wir alle und so schnell hörten wir nicht mehr auf. Als wir die Küche saubermachten, blieb Frau Brenner plötzlich stehen.

»David, schau mich mal an!«

Tat ich und sie schaute lange.

»Ich glaube, ich habe da eine Idee ... die suchen doch jemanden, der ein bißchen abgerissen rumläuft, oder?«

Klang zwar hart, aber sie hatte ja recht, mit meiner Mähne und meinen alten Klamotten sah ich wirklich so aus, also nickte ich.

»Julian, komm mal mit.«

Die Beiden waren nur ganz kurz weg, dann kamen sie wieder rein und beide grinsten. Julian meinte:

»Komm, wir gehen mal kurz hoch.«

Wir gingen in sein Zimmer und er fing an, in seinem Kleiderschrank zu wühlen und holte was raus.

»Hier probier das mal an!«

»Was?«

Er grinste.

»Zieh das an. Mach erstmal, du wirst schon sehen!«

Äh ... okay, ich zog die Klamotten an. Obwohl man dazu, glaube ich, eher 'Kleidung' sagt, so was hatte ich noch nie angehabt. Als ich fertig war, lächelte Julian.

»Wow, und jetzt zeigen wir das mal den anderen, komm!«

Ich dacht' eigentlich, das Lachen würde wieder losgehen, als wir in die Küche kamen, aber Peter fiel fast die Kinnlade runter und Frau Brunner starrte mich auch an.

»Himmel, du siehst gut aus!«

Also, jetzt war aber gut, ich ging in den Flur, da hing ein Spiegel ... ach du Schande, wer war das denn? Ich hab echt nicht gewußt, daß man jemanden mit 'ner neuen Frisur, ein bißchen Farbe und neuen Klamotten so verändern kann. Ich kam mir zwar reichlich bescheuert vor, aber irgendwie ... naja, irgendwie sah das schon ziemlich gut aus, aber das hätte ich natürlich nie gesagt. Ich kam mir vor, wie einer von diesen Typen im Fernsehen, ich mein, blaues Hemd, dunkelgraue Hose, schwarze Schuhe, dazu die neue Frisur ... ich hätt' bestimmt bei jeder Bank anfangen können. Frau Brenner legte mir die Hand auf die Schulter.

»Mach den Mund wieder zu, das bist du wirklich. Jetzt kannst du dich draußen sehen lassen, so wird dich niemand erkennen.«

»Ich erkenn mich ja nicht mal selber wieder! Ach so, wer bin ich denn eigentlich?«

»Hm ... Julian, an deiner alten Schule gab es doch mal so eine Aktion mit Brieffreundschaften, könnte David nicht so ein Brieffreund sein, der dich jetzt einfach ein paar Tage besucht?«

»Ja, klar, super Idee, Mama! Und dann sagen wir einfach, David hat einen kleinen Autounfall gehabt!«

»Moment, das funktioniert nicht ...«

Ich erzählte ihnen von Tom ... Peter hatte eine bessere Idee.

»Sagen wir doch einfach, du warst bei einem Fußballspiel und bist in eine Rauferei geraten und da hattest du einfach Pech.«

Damit stand meine Geschichte. Ich grinste..

»Also, das muß ich unbedingt Simon erzählen, der glaubt mir kein Wort!«

Ja, klar, jetzt mußte ich erstmal erklären, wer Simon ist

»Übrigens, kommen wir nochmal in die Stadt? Ich muß noch ins Internetcafe und die Mail schreiben.«

»Das kannst du auch von hier aus, ich hab einen Anschluß!«

Also, Julian hatte doch gesagt, daß sie nicht so viel Geld hätten, oder? Egal, jedenfalls gingen wir hoch und Julian loggte mich ein.

»Ich laß dich jetzt schreiben, sag einfach Bescheid, wenn du fertig bist.«

Hätte ich ja auch getan, aber da waren zwei Mails von Simon und die wollte ich erstmal lesen, hm, die erste war nicht so rasend, wahrscheinlich hatte Simon die abgeschickt und dann meine letzte Mail abgeholt, mal sehen, was in der zweiten stand ... als ich sie gelesen hatte, fiel mir nichts mehr ein, Julian hat sie später für mich ausgedruckt und ich hab das Papier heute noch.

»David,

wanna come to the US? Think it over and decide!

Simon»

Äh ... ich nach Amerika? Wie sollte das denn gehen? Ich mein, klar, natürlich, warum nicht, aber wie sollte ich da bitte hinkommen? Und so gut war mein Englisch ja nun auch wieder nicht. Und wer bezahlt den Flug? Und überhaupt, seit wann hatte Simon 'n Sprung in der Schüssel? Also, bei mir im Kopf drehte sich alles ... ich fragte Simon, ob er das ernst meinte und schickte die Mail ab, fertig. Naja, ehrlich gesagt, fertig war ich noch nicht, ich mein, hey, wenn Simon da keinen Joke gemacht hatte ... Amerika, puhh! Das hätt' ich mir schon mal gern angeschaut ... war schon klar, daß ich nicht bei Julian bleiben konnte ... und wenn ich schon weglief, dann konnt' ich auch gleich weit weglaufen, aber trotzdem, Amerika, das war schon verdammt weit und ich kam mir grade ziemlich klein vor. Trotzdem, bei Simon war es jetzt noch mitten in der Nacht, vor heute abend konnte gar keine Antwort da sein. David, hör auf, von Amerika zu träumen! Los, geh runter! Na gut, ich fuhr den Rechner runter und ging in die Küche, Julian saß über der Zeitung.

»Na, das ging ja schnell, du wolltest doch so viel erzählen!«

Ich setzte mich zu ihm.

»Ich hab nur zwei Zeilen geschrieben. Julian ... «

Also, wenn ich nicht mit Julian reden konnte, mit wem dann? Und reden mußte ich.

»... warst du schon mal in Amerika?«

Er lachte.

»Nee, wirklich nicht. Wir waren schon lange nicht mehr in Urlaub. Wieso?«

»Hm, also entweder Simon hat mich verarscht, oder ... er hat mich nach Amerika eingeladen.«

»Was? Das ist ja super! Herzlichen Glückwunsch, das ist doch echt großartig!«

Also, Julian war schon was besonderes. Da erzählte er mir, das er schon lange nicht mehr im Urlaub war und freute sich wie verrückt, weil ich 'ne Einladung nach Amerika hatte. Ich freute mich ... ich glaub', weil Julian sich so freute.

»Hey, nun mach mal langsam, ich weiß doch noch gar nicht, ob Simon das ernst gemeint hat. Und ...«

Ich schluckte.

»... ich hab ein bißchen Angst ... Angst davor, wirklich wegzugehen.«

Julian nickte.

»Ja, das glaub ich dir. Aber trotzdem, das ist doch die Chance! Ich mein, Benni ist tot, deine Eltern ... naja, also, was hält dich hier noch?«

Da saß er und schaute mich an und strich sich das Haar aus der Stirn und warf mein Leben durcheinander. Oh Mann!

»Ja, du hast ja recht. Aber Amerika ... da gibt's kein zurück mehr. Und wenn ...«

»Wieso Amerika? Mögt ihr ...«

Peter kam in die Küche.

»... noch einen Kaffee?«

Julian wollte nicht, aber ich nahm noch 'ne Tasse und erklärte Peter die Sache. Der hörte zu und schüttelte dann den Kopf.

»Sorry, aber ich glaube, dein Freund stellt sich das ein bißchen zu einfach vor. Du brauchst einen Paß und du brauchst ein Visum und du brauchst einen Flug und du brauchst wahrscheinlich stapelweise Papier, um in den USA bleiben zu können. Und wenn jemand deinen Namen in einen Computer eingibt, dann blinken bei der Polizei alle roten Lichter. Nein, ich glaube, wir sollten besser darüber nachdenken, wie das hier in Deutschland weitergehen kann ... hast du schon mal an ein Heim gedacht?«

Ich holte tief Luft ... wär' ja auch zu schön gewesen. Aber Glück ist, was die Anderen haben, war wohl besser, die Augen wieder aufzumachen.

»Nee, noch nicht so richtig. Weißt du ... zurück kann ich nicht, das ist sicher. Hier kann ich auch nicht bleiben, das ist klar. Und ...«

Julian unterbrach mich.

»Warum kannst du eigentlich nicht hierbleiben?«

Peter hielt den Mund und ich schaute Julian lange an ... warum gibt es nicht mehr Leute wie ihn? Da bot mir jemand, der mich erst seit ein paar Stunden kannte, ein Zuhause an ... und ich konnte es nicht annehmen. Und ich wär' gern geblieben .... bei Julian geblieben.

»Die Polizei sucht mich. Und irgendwann wird sie mich finden und dann wärt ihr mit dran, nee, das lassen wir mal besser. Ich würd' gern noch ein paar Tage bleiben ...«

Ich seufzte.

»... und dann muß ich weiter.«

Peter schüttelte den Kopf.

»Überleg' dir das noch mal, du kannst nicht immer nur weglaufen, du mußt auch mal irgendwo ankommen.«

Er hatte ja recht, aber was sollte ich denn machen?

Nach dem Mittagessen zeigte mir Julian ein bißchen die Gegend, ich kaufte neuen Tabak und Julian stellte mich 'n paar Leuten vor und erzählte die Story von der Brieffreundschaft und dann saßen wir noch 'n bißchen in der Sonne und dann war's schon Zeit fürs Abendessen ... da lag rohes Fleisch auf dem Küchentisch??

»Äh, könnte ich mein Stück vielleicht ein bißchen warm machen?«

Julian grinste.

»Wie? Magst du kein frisches Fleisch?«

»Naja ... ich will wenigstens sicher sein, das es tot ist, bevor ich reinbeiße!«

Wir gingen in den Garten und da stand ein Grill und qualmte vor sich hin.

»Hallo, ich hab mir gedacht, wir könnten draußen essen, es ist so ein herrlicher Tag!«

»Gute Idee, Frau Brenner, aber dann ziehe ich mich lieber noch schnell um.«

Ich wollt' nun echt keine Fettflecken auf Julians Hose machen.

Der Abend war wirklich schön, nur war ich eigentlich auf Julians Vater neugierig ... aber der kam nicht und ich wollt' nicht fragen. Am nächsten Abend war er immer noch nicht da und als wir bei Julian saßen, fragte ich dann doch.

»Sag mal, was ist eigentlich mit deinem Vater?«

Julian lächelte ... aber ein bißchen traurig.

»Der ist unterwegs ... er kontrolliert die Finanzen bei einem großen Unternehmen und da muß er immer wieder zu den einzelnen Niederlassungen. Wir haben damals lange darüber gesprochen, ob er das machen soll, ich mein, wir wußten vorher, daß er viel weg sein würde, aber das wird halt schon gut bezahlt. Aber am Montag kommt er wieder.«

Und dann kam es mir.

»Äh, du, von wegen wiederkommen, ich hab völlig vergessen, in meine Mailbox zu schauen!«

»Kein Problem! Soll ich rausgehen?«

»Quatsch. Wenn ich dir nicht trauen kann, wem denn dann?«

Okay, einloggen ... ja, da war die Mail.

»David

it's easy: If you wanna come and live here, okay there'll be a way but you've to be sure about it.

Simon»

Aha, der Junge war echt cool, es war also ganz einfach, wenn ich sicher war, daß ich in die Staaten wollte, dann würd's einen Weg geben ... hm, bei mir war noch nie irgendwas ’ganz einfach' gewesen, hoffentlich erzählte Simon da keinen Scheiß.

»Julian? Lies das mal bitte!«

Tat er.

»Was hältst du davon?«

Julian überlegte kurz.

»Vertraust du ihm?«

Das war die große Frage.

»Ja, ich glaub schon.«

»Und willst du in die Staaten?«

Jetzt war ich dran mit nachdenken.

»Ja, ich glaub schon.«

»Okay, dann schreib es ihm.«

Ich hatte echt keine Ahnung, was ich da machte, aber ich sagte Simon, daß ich in die USA wollte und schickte die Mail ab. Als ich auf 'Enter' drückte, hatte ich das Gefühl, als ob hinter mir 'ne große Tür zugegangen wäre ... und vor mir war irgendwas, das ich nicht kannte. An dem Abend konnt' ich lange nicht einschlafen, ich mein, wenn ich so sah, wie Julian lebte ... verdammt, ich hätt' auch gern so 'ne Familie gehabt, für Benni und für mich ... und ich wußte nicht, wie's weiterging und ich kam mir unheimlich klein vor.

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9. Kapitel :

Am Montag kam Julians Vater auch wieder, nur war er überhaupt nicht so, wie ich gedacht hatte ... ich mein, Leute, die was mit dieser Buchhaltung zu tun haben sind doch eigentlich so schmale, blasse Typen und Julians Vater war mindestens 1,90m und hatte Schultern wie ein Kühlschrank und einen Bart und eine Stimme wie ein Stahlwerk ... also mit ihm zusammen hätte ich mal gern Bennis Vater getroffen.

»Hallo, du mußt David sein! Schön, dich zu treffen!«

Meine Hand verschwand in seiner und ich war froh, daß ich sie heile zurückkriegte.

»Hallo Herr Brenner, ich wollt' mich auch bei ihnen bedanken, das ich ein paar Tage hier bleiben kann!«

»Da bist du an der falschen Adresse, in diesen vier Wänden habe ich nichts zu sagen, das macht alles meine Frau und darüber bin ich sehr froh!«

Er grinste und ließ sich in den Sessel fallen.

»Laß dich nicht auf den Arm nehmen, David! Das bedeutet nämlich auch, daß mein Mann im Haushalt keinen Finger rührt!«

»Moment mal, als ich vor ein paar Wochen mal gekocht habe, da hast du probiert und das Zeug kommentarlos weggeschmissen!«

»Das war nicht vor ein paar Wochen, sondern kurz nach Julians Geburt. Und wenn einem der Braten auf den Fußboden fällt, dann macht man ihn mit Wasser sauber und legt ihn nicht in Spülmittel!«

Herr Brenner grinste etwas verlegen und Julian verbiß sich mühsam das Lachen.

»Naja, immerhin war es der sauberste Braten, den du je gegessen hast!«

»Sei froh, das ich ihn nicht gegessen habe, sonst wärst du jetzt alleinerziehender Vater. Und jetzt geh dich umziehen, es gibt gleich Essen!«

»Ich geh ja schon.«

Also, irgendwie hatte ich eigentlich gedacht, daß es richtig krachen würde, aber sie lächelten sich an, küßten sich und dann ging Herr Brenner sich umziehen ... komische Leute.

Das Abendessen war klasse und wir lachten viel ... es war wirklich so, als ob ich dazugehören würde. Und dann fiel Frau Brenner noch was ein.

»Sag mal, kennst du nicht einen Arzt, der David die Fäden ziehen kann? Und der nicht gleich eine Versicherungskarte sehen will und den Mund hält?«

»Welche Fäden?«

Ich nahm das Pflaster runter und zeigte sie ihm.

»Oh ha! Wenn die mal nicht schon festgewachsen sind. Hm, also ... ich hab mal Fäden gezogen, aber da war der Stabsarzt mit dabei und hat aufgepaßt ... aber so schwierig ist das eigentlich nicht.«

Moment mal! Wollte der Mann an mir rumoperieren?

»Stimmt, daran hab ich gar nicht mehr gedacht. Wofür die Bundeswehr nicht alles gut ist. Kriegst du das hin?«

Er nickte.

»Wenn du mir eine vernünftige Schere besorgst ... und eine Pinzette und Desinfektionsmittel ... ja, das kann ich. Aber ...«

Er schaute mich an.

»... das wird weh tun, die Fäden sind, glaube ich, schon zu lange drin. Und du kannst einen Tag oder so nicht duschen.«

Ich schluckte.

»Okay, hauptsache, die Dinger kommen raus. Aber dann spring ich noch schnell unter die Dusche.«

Tja, und dann ging's dann los. Er war wirklich vorsichtig, aber es tat trotzdem ziemlich weh und ich war wirklich froh, als der letzte Faden draußen war.

»So, das war's. Morgen merkst du nichts mehr davon. Hast du sonst noch was zu verarzten?«

»Nee, danke, zum Glück nicht. Wahrscheinlich wird meine Schulter irgendwann mal besser und dann bin ich wieder fit.«

»Was ist denn mit der Schulter?«

Ich erklärte es ihm.

»Hm, ich war zwar nur Sani, aber ich würd' mir das gern mal anschauen.«

Warum nicht ... ich zog mein T-Shirt aus, das Blau war schon viel weniger, aber Herr Brenner holte trotzdem mal tief Luft.

»Ach du Schande. Sag mir einfach, wenn's weh tut, ja?«

Er tastete und drückte und bewegte meinen Arm ... ganz vorsichtig, aber trotzdem keuchte ich 'n paar Mal ganz heftig.

»Hm ... also, ich glaube, so ganz richtig ist das nicht. Aber das muß sich mal ein Fachmann anschauen, da kann ich nichts machen.«

Ja, das hatte ich mir schon gedacht, aber wo sollte ich denn einen Arzt hernehmen. Aber das war mein Problem. Tja, und dann wurd's spannend. Inzwischen schauten wir jeden Abend kurz in die Mailbox und heute war eine Mail da ...

»Hi David,

tut mir leid, das du warten mußtest, aber Colin war inzwischen hier. War übrigens toll, ich kannte ihn ja nur vom Internet und jetzt haben wir uns auch mal gesehen. Also, es ist so:
Colin kennt ein paar Leute, die dir helfen können. Er hat das zwar nicht gesagt, aber ich glaub', er macht das nicht zum ersten Mal. David, ich weiß, daß das für dich schwer ist, aber ich vertraue Colin und ich würde mich wahnsinnig freuen, dich zu treffen. Wir haben uns mal die Karte angeschaut und du bist sowieso in der Nähe von Bremen. Kannst du am Mittwoch, den 12. 7. in Bremen sein? Gleis 9, 17.00 Uhr? Da wird dich dann jemand abholen. Sag mir bitte Bescheid, wenn das in Ordnung ist und schick ein Foto von dir mit, damit wir dich finden können. Oder, wenn du keins hast, dann schreib bitte kurz, wie du aussiehst.

cu

Simon»

Wow, was war das denn? Das hörte sich ja an wie Mission Impossible, fehlte nur noch, das Tom Cruise auftauchte. Also, die Sache wurde ernst. Julian druckte mir die Mail aus und wir gingen runter ... ich wollt' gern wissen, was Julians Eltern davon hielten. Die waren nicht so begeistert, Frau Brenner wurde ziemlich deutlich.

» ... kommt nicht in Frage, du kannst doch nicht so einfach zu wildfremden Leuten fahren! Wer weiß, was die mit dir vorhaben? Hinterher bist du verschwunden und die verkaufen deine Organe an reiche Leute oder so! Bist du wahnsinnig?«

Dauerte ein bißchen, bis ich klarkriegte, daß sie sich Sorgen um mich machten. Und es dauerte noch länger, bis sie einverstanden waren ... naja, nicht einverstanden, aber sie würden mich gehen lassen. Ich schickte noch schnell die Mail an Simon, ich hatte zwar kein Foto, aber mit dem Pflaster und den Zähnen war ich gut zu erkennen. Und am nächsten Mittag sagte Frau Brenner, daß ich mit dem Zug fahren würde ... auf ihre Kosten. Am Abend redete ich noch lange mit Julian, ich glaub, wir wußten beide, daß es unser letzter Abend war und wir waren traurig. Dann machte Julian sein Halskettchen ab ...

»Hier, meine Mutter hat es mir geschenkt, als ich zehn war und es hat mir immer Glück gebracht. Trag du es, es soll dir auch Glück bringen!«

Ich umarmte ihn so gut es ging und wir standen lange da ... ja, ich geb's zu, ich weinte, es war einfach echt beschissen, schon wieder einen Bruder zu verlieren.

Nach dem Frühstück packte ich meinen Kram zusammen, als Frau Brenner kam.

»Willst du dich nicht umziehen?«

»Äh ... wieso?«

»Weil du besser Julians Sachen anziehst, immerhin wird die Polizei dich suchen. Ich hab dir noch zwei Hemden gekauft, dann hast du was zum wechseln, hoffentlich passen die noch in deinen Rucksack!«

»Danke! Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet!«

Hatte ich auch nicht. Die Sachen waren neu und sicher nicht billig gewesen. Naja, jedenfalls fuhren wir später zum Bahnhof, um fünf vor drei ging mein Zug und als er dann kam, umarmte mich Frau Brenner.

»Machs gut, David! Wir werden dich nicht vergessen. Ich hab dir noch was in den Rucksack gelegt. Paß auf dich auf!«

Und dann umarmte mich Julian ... wir sagten nichts, was hätten wir auch sagen sollen. Wir ließen uns los und ganz kurz fühlte ich seine Lippen auf meinen ... und das war ein verdammt schönes Gefühl. Ich stieg ein, war nicht viel los und ich ging in ein leeres Raucherabteil und machte das Fenster runter ... und ich winkte noch, als ich Julian schon nicht mehr sehen konnte. Ich guckte ziemlich lange nur aus dem Fenster, aber dann fiel mir ein, was Frau Brenner gesagt hatte ... und ich schaute in den Rucksack ... da war ein Briefumschlag drin.

»Lieber David,

wir sind alle traurig, das Du wieder fährst und wir machen uns natürlich auch Sorgen. Wenn Du Hilfe brauchst oder wenn das mit Amerika nicht klappt, dann komm bitte zurück, wir finden schon einen Weg. Wir würden uns freuen, wenn Du Dich mal bei uns meldest, wir werden Dich auf jeden Fall nie vergessen.

Alles Gute!»

Und dann hatten sie alle drei unterschrieben. Und da war noch ein Foto, wo alle mit drauf waren ... und 200€. Also, in dem Moment war mir Amerika scheißegal, ich glaub, wenn ich gekonnt hätte, dann wär' ich auf der Stelle zurückgefahren.

Um kurz nach vier war ich dann in Bremen und ich schaute mir erstmal den Fahrplan an. Wenn das mit dem Treffen nicht klappte, konnt' ich am gleichen Tag wieder zurückfahren. Ich lief noch ein bißchen am Bahnhof herum und war natürlich zu früh auf Gleis 9, aber das konnt' ja nicht schaden, da hatte ich noch Zeit für 'ne Kippe. Oh Mann, das war schon echt bescheuert, da hatte ich 'ne Familie gefunden, die mich gern hatte und ich hatte nichts besseres zu tun, als wieder zu gehen. Aber wenn rausgekommen wär', das ich bei den Brenners gewesen war, dann hätten sie mächtig Ärger mit den Bullen gekriegt und das wollt' ich nicht. Und dann hätte ich ...

»Hi ... äh, Du bist nicht zufällig David? «

Ich zuckte zusammen ... da stand so ein blonder Typ und lächelte mich an. Ich nickte

»Ja, ich heiß' David. Ist es schon fünf?«

Eine wirklich blöde Frage, aber der Typ grinste nur.

»Noch nicht wirklich ... ich kann aber auch gleich noch mal wiederkommen, wenn Du willst.
Ich heiß' Richard Jackson, aber sag ruhig Rick.« Dann hielt er mir seine Hand hin.
 

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Noch ein paar wichtige Worte zum Schluß dieses Teils:

Die Youngs in Münster gibt es wirklich, auch den Donnerstagstreff im Cuba in der Achtermannstraße, auch den Stadtplan im Internet - übrigens unter www.youngs.de - und ich möchte hier ein ganz dickes Dankeschön an Peter von den Youngs sagen! Peter hat mich mit unendlicher Geduld mit Informationen versorgt, und wenn ich Fehler in der Beschreibung der Kneipe usw. gemacht habe, dann gehen die ganz allein auf mein Konto. (Und ich nehme an, die Youngs würden sich über Zuwachs freuen *g*) Alle anderen Personen und die Geschichte selbst sind fiktiv, also erfunden!

Noch ein juristischer Hinweis: Es ist tatsächlich nicht so ohne weiteres erlaubt, einen weggelaufenen Jugendlichen ein paar Tage unterzubringen, ohne die Polizei bzw. das Jugendamt zu informieren, es gibt aber eine ganze Reihe von Gruppen und Organisationen, die da helfen können.

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